Archive for the ‘gegenwärts.’ Category

Die schönste Auszeit.

Monday, September 24th, 2018

Kommst du im Sackgassendorf an, beiß kurz die Zähne zusammen. Links und rechts wohnen nämlich Quinquin und seine bucklige Verwandtschaft. Lass dich nicht irritieren, fahr weiter übers Kopfsteinpflaster, konzentrier dich aufs Pferd rechts. Ignorier die von den zerrupften Hühnern totgekratzte Wiese, weiter weiter. Am Ende der Straße bist du da. Lass dich von Stefanie drücken, von Ulli kurz anlächeln und pack deinen Proviant in die Schubkarre. Stolper über den Hof, du wirst merken, wie dein Atem ruhiger fließt. Spätestens an der Feuerstelle kannst du ihn sehen, den Bauwagen. Schnell, rein da, stell ab alles. Proviant, Zeitung, Aquarellstifte, die dicken Socken. Nimm die Hand deines Lieblingsmenschen und geh direkt die zwei Stufen hoch, die vom Küchenanbau ins Innere führen. Kurzer Blick auf den neuen Ofen, beim Kamin steht genug Holz für die nächsten Tage. Ab ins Bett, check kurz, ob Bücher oder Fotobände seit deinem letzten Besuch hinzugekommen sind, ein paar, OK. Dann ab unter die Decke, einkuscheln und Augen auf. Alle Fenster wurden für dich und diesen Moment gemacht. Links klappern Birken, vor dir die Rosen, über dir murmeln die Wolken: du bist da.

Jetzt auch noch die Kosmetikerin.

Wednesday, August 29th, 2018


Frau N.  
… aber was hier teilweise läuft, das geht echt gar nicht!

Ernt   Was meinen Sie denn?

Frau N.   Na die Merkel ist doch wirklich unwählbar. Die lässt alles unkontrolliert rein. Diese Massen an Menschen! Die Gewalt. Und was da für Gelder fließen! Wir sind die einzigen, die so blöd sind, schauen Sie doch mal nach Ungarn, oder hier, dieser junge Österreicher, der gefällt mir auch.

Ernt   Frau N., da sind wir beide aber ganz unterschiedlicher Meinung, ich könnte mich sofort übergeben, wenn ich dem Orban zuhören muss.

Frau N.   Was, wirklich? Mhm.

Ernt   (…) Wie viele geflüchtete Personen kennen Sie eigentlich? Was hat sich konkret in Ihrem Alltag verändert?

Frau N.   … na keine kenn ich, aber ich hab doch Augen im Kopf. Ich war letztens in Hamburg, da hab ich doch gesehen, was abgeht. Sie müssen doch mal hinter die Kulissen schauen! Oder gehen Sie doch mal ins Netz! Da gibts ja richtig Theorien drüber, dass Europa islamisiert werden soll, das ist gewollt!

Ernt   Sie wählen AfD?

Frau N.   Hab ich schon. Natürlich! Aber mir gefällt auch diese Sahra Wagenknecht.

Ernt   Frau N., was wäre denn Ihr Wunsch für die Zukunft? Sind Sie dafür, um Europa eine hohe Mauer zu bauen, damit keiner reinkommt und wir das Elend draußen nicht mehr sehen müssen? Ich meine, die Menschen wandern doch seit Jahrtausenden, um bessere Lebensbedingungen zu finden. Und was würden Sie machen, wenn Sie in der Sahel-Zone leben, ihr Haus ist überschwemmt, es gibt kein Wasser oder um sie herum herrscht Chaos und Gewalt?

Frau N.   Was hat denn das jetzt damit zu tun. Nein, nein. Wir beide werden uns nicht streiten, oder?

Ernt   Naja, wenn Sie menschenverachtende und rassistische Anschauungen haben, dann find ich, müssen wir darüber reden.

Frau N.   Waaas? Ich bin doch nicht rechts! Ich bin total gegen Gewalt!

Ernt    Warum denken Sie, Deutsche wären besser als Muslime?

Frau N.   Sag ich nicht, aber die beiden Kulturen passen einfach nicht zusammen. Das mit der Integration ist totaler Quatsch. Die sollen in den Ländern was unternehmen. Die sollen… Frauen sind da gar nichts wert, die Männer benehmen sich nicht, da muss man ja als Frau Angst haben, nachts über die Straße zu gehen!

Ernt   (…) Frauen werden auch von deutschen Männern missbraucht. Die Medien -…

Frau N.   -… so ist genug. Wir wollen uns nicht streiten.

(…)
Frau N.   Die Haut ist aber gut geworden.

Ernt   Ja, die Sonne hat’s gut gemeint.

Freier Fall.

Tuesday, July 31st, 2018


Während sich die meisten Menschen immer schön vom Abgrund fernhalten (Bodenlosigkeit, Verzweiflung, Untergang und so), gibt es eine Frau, die sich dort häuslich eingerichtet zu haben scheint.

Carolein Smit hat in ihrer Ausstellung „L’amour fou“ die fiesesten Familienfotos und Schaurigkeiten in regelmäßigen Abständen an den Abgrund platziert und lädt die Betrachter freundlich ein, sich doch bitteschön hinab zu begeben. Und da muss jede selbst entscheiden, wie weit sie geht. Wer zögert verpasst den freien Fall, den Verwesungstanz, zu dem sich Schönheit und Tod vertraut die Hand reichen.

Erntge hat sich getraut, in Leipzig, wo die Ausstellung noch bis zum 30.9. zu sehen ist. Für die 30 großformatigen Einzelplastiken (aus Keramik) brauchte sie fast zwei Stunden und danach ging auch echt nur noch Badesee. Wie es der Künstlerin gelingt, das Unfassbare, den Schmerz und die Ausweglosigkeit dermaßen eindringlich und ästhetisch in Form zu gießen, bleibt Erntge ein großes Rätsel. Was träumt erst diese Frau, wenn sie solche Plastiken schaffen kann?

An der Oberfläche des Badesees träumt Erntge und genießt oben die Wolken und unten die Vorstellung eines festen Grundes. Carolein Smit, die krasse Alte, bohrt sich durch Schling und Schlang und verfaulte Gase rein ins Dunkel unterm Grund! Schmeckt Modrigkeit im Mund, erträgt Krebsiges im Auge, Vielfüßler zappeln sich durch ihre Nase. Wie hält sie das aus und warum hat sie keine Angst vor dem, was sie dort unten noch nicht angetroffen hat? Dass sie alle ihre Meisterwerke so üppig und fast kitschig bunt dekoriert, macht jetzt total Sinn für Erntge.

Zwei Menschen, zwei Häuser.

Thursday, July 12th, 2018

Sie hatten sich an der Wurzel getroffen. Es brummte und summte so schön im Gras. Im Herbst roch es nach Pilzen und im Sommer lagen sie unterm Rauschen der Bäume. Endlose Tage.

Schließlich verließ sie ihn für die Stadt mit ihrem Labyrinth aus Mauern, Menschengesetzen und Wunderräumen. Ihr begegneten Liebe und Gewalt, manchmal versperrten ihr die vielen Wegweiser den Weg. Selten besuchte sie ihn noch im Wald.

Sein Haus veränderte sich mit jedem Jahr. Nach und nach hatte er Moos und Geäst durch Ziegel und Steine ersetzt. Fragte, wo er Zaunlatten kaufen könne. So schön hohe, die Sonne blende ihn nämlich so schrecklich. Er zäunte alle Weite ein und genoss die Stille.

Sie hatte inzwischen alle Räume der Stadt angeschaut und wählte das Haus, das den Himmel berührte und in dem sich nachts der Wind ausruhte. Hier standen alle Türen offen und nicht selten besuchten sie Amsel, Taubi und alle anderen Flugtiere. Sie fühlte sich angekommen.

Als sie ihn wieder einmal besuchte, grub er sich grad fröhlich ins Erdreich und lobte die dunkle Feuchte, die ihn nun umgab. Mit leuchtenden Augen beschrieb er die beklemmende Enge und Kälte seines Kellers: er halte sich überhaupt nur noch hier auf, das Gezeter und Chaos oben reibe ihn nur auf. Er hatte sich vielerlei Utensilien zugelegt, um Insekten und Leben fernzuhalten. Sie erschrak, als er Asseln und Schlangen direkt vor ihren Augen totschlug. Er hatte ein Regal in die triefende Erde gebaut, wo er Gift, Fallen, kleine Speere, Stacheldraht und Unmengen dieses seltsamen Tranks hortete, der seinen Körper zersetzte.

Anfangs fragte sie noch: vermisst du nicht die Sonne? Das Vogelgezwitscher? Die anderen? Die lustigen Sachen? Die Wunder, die oben passieren? Sein erschütterndes „Nein, verdammt!“ traf sie tief. Die roten Tropfen, die danach häufig von ihrer Lippe fielen, sah man auf dem dunklen Erdboden nicht.

Betrübt kehrte sie heim. Ging in ihren Garten und pflegte die zarte Wurzel. Sie legte Moos aus und schaffte allerlei Geäst und Steinchen herbei für die Insekten. Sie schlief unter blankem Himmel und wünschte, viele Vögel möchten in der Nähe brüten.

Fertilität 5000.

Monday, June 18th, 2018


Erntges grünste Bananenpflanze der Welt ist die Schönste, weil sie seit 6 Jahren über sich hinaus wächst, allerseits Frohsinn verbreitet und im Sommer so schön Schatten spendet. Wir lieben sie.

Erst passierte das Fast-Unfassbarste: Banani reproduzierte sich selbst und inzwischen gedeiht auch die zweite Ablegerin prächtig. Und nun geschieht aber das wirklich Aller-Unfassbarste: Banani hat eine unglaublich rot-violette Blüte rausgeschoben und die ersten vier Miniaturbananen leuchten zitronengelb durchs Butzi! Uaaaah!!

Bittersüßes Sein! Dieses Wunder des Lebens vollzieht sich nämlich genau im Lebensabend vom geschätzen Pflänzelein: nach Blütenpracht und Fruchtstand wird sich Banani leider zum Sterben zusammenrollen und abdanken. Wir schauen ihr gespannt dabei zu und machen uns klar das endlose Spiel vom Werden und Vergehen.

Abschlussrede, feierlich.

Saturday, June 9th, 2018


Und jetzt macht dass ihr weg kommt. Haut endlich ab. Schmeißt eure Salamis an Muttis Fotowände, reihert ihren Teppich voll, zündet den von mir aus an. Mir egal jetzt mit den Hausschuhen. Ich hab hier lange genug Kontrolletti gespielt, eure dumpfe Überheblichkeit kotzt mich nur noch an. Ich möchte nicht mehr für euren Stumpfsinn geradestehen. Für eure Weigerung, weit oder überhaupt zu denken. Macht das selber, ihr seid alt genug.

Und das ist leider auch kein Punk, was ihr da macht, das ist… keine Ahnung, mir fällt dazu nichts ein. Außer vielleicht feige, formlos, muffig, lahm. Mein Problem ist, dass ihr euch für die Größten haltet und euch so irre ausruht im Schutz der Wand, die ihr als Gemeinschaft bildet und die alles abhält was hinterfragt, kritisiert oder hinweist. Einzeln seid ihr leider so arme Würstchen, ganz verunsichert, ängstlich und unselbständig.

Und dass man euch nicht böse sein darf, das ist fast das Schlimmste: „Die armen, armen Opferlein, was sie alles durchmachen müssen: Pubertieren, sich selbst finden, eine eigene Meinung ausbilden, – und immer unter diesem Druck der sozialen Netzwerke, komm gib ihnen noch eine Chance.” Na klar.

Und noch eine. Und noch eine. Und wieder eine, es wird fast lächerlich. Sechs Jahre lang habe ich versucht euch zu verstehen, anzuregen und zu schützen. Hab euch (hochgradig unprofessionell, ich weiß) mit nach Hause genommen, zahllose Nächte verpasst. Verziehen hab ich euch und ertragen. Und dafür seid ihr mir nichts schuldig, das war meine Entscheidung. Dass ich mir einbildete, mein Handeln könnte etwas bewegen, ist mein Problem, nicht eures. Nur dass es jetzt zum Schluss noch mal so einen Arschtritt von euch gibt, das tut mir weh. Deshalb geb ich euch jetzt auf. Tschüß.

Mich habt ihr genug provoziert, herausgefordert und beschämt. Ich scheiß auf eure scheiß Afd-Plakate, ich scheiß auf eure scheiß Strafanzeigen, ich scheiß auf eure scheiß Beleidigungen. Mein einzig positiver Gedanke an eure Zukunft ist, dass sie hoffentlich nichts mit mir zu tun haben wird. Ich trau euch nichts zu. Ihr habt mich maßlos enttäuscht, haut ab.

Zen im Taubenschlag.

Monday, May 21st, 2018


Das Sofa steht jetzt woanders. Hier gibt es keine Türen. Vorm großen Fenster plustert sich diese Friedenstaube in die Dachrinne und schaut uns zu.

Auf dem Sofa nehmen nacheinander andere Menschen Platz. Taubi und wir schauen uns die an. Ihre Fältchen, ihre Münder, ihre Hände. Immer andere.

Wenn wir genug haben, schauen wir vom Balkon den Vögeln bei der Arbeit zu und essen dazu Salat. Wir betreiben Fellpflege, alle Läuse direkt in Taubis Futterschale. Taubi teilt auch mit den Nachbarn.

Manchmal haben wir das Gefühl, dass wir alles, was kommt, tatsächlich halten können, vielleicht sogar lässig. – Dann erschrecken wir uns kurz, – dann geht die Türklingel, – dann kommen wieder Menschen.

So geht das und so soll das weitergehen.

Versuchen und -sprechen.

Sunday, May 6th, 2018


Versprich mir, dass du dann dein Glück nicht in meinem suchen wirst.
– Ich verspreche es dir.

Versprich mir, dass du die Kraft finden wirst, nüchtern glücklich zu sein.
– Ich verspreche es dir.

Versprich mir, dass du auch bei mir bleibst wenn es unbequem wird.
– Ich verspreche es dir.

Soll ich auch irgendwas versprechen?
– Bitte bleib wer du bist.
Okay.

Time’s absolutely right, Alter.

Thursday, May 3rd, 2018


Alle schwarzen Katzen mir nach – nach links!
Alles Geschirr ausm Schrank – lass krachen Schepper’n’Polter!
Alle Marienkäfer auf die Kleeblätter, die vierblättrigen!
Alle Möwen Achtung Achtung – jetz scheißen was das Zeug hält!
Hier is nu Schluss mit amorph, verquollen und bla, es geht ab!

Kick und Abflug.

Thursday, December 14th, 2017

Seit die Krähe Erntge im Vorbeiflug wuchtig auf den Helm trat ist Vieles anders. Es kommt Erntge vor wie ein klirrendes Theaterstück an Seilen. Auf Seilen. Tanztheater wohl, denn viel schwankt vor und zurück und wieder vor und mal zur Seite. Dennoch tut die Bewegung viel Gutes, vor allem weil: sie ist endlich da. Denn so ein Stillstand kann auch weh tun und – ist immer Schritt zurück.

Erntge ist sich sicher, dass es sich gleich ausgeschaukelt hat. Erntgewegen darf sich dann gern endlich aller Umstand ändern.

Für die Machtkisten aus der Seifenblase gibts im sechsten Akt ein holpriges Kistenrennen. Publikum, Luftballons, Zuckerwatte – und plötzlich haben alle Spaß an den rostigen Kahlauern und den quietschenden Pullerpausen. Die besonders verwackelte Seifenkiste wird unter grölendem Gebell mit Hausschuhen beworfen. Ernst steht unten in der Ecke und schmollt.

Während des Spektakels merkt Erntge, dass sie längst entzaubert ist. Alle Bewegungen des Theaterspiels beherrscht sie zwar. (Nur selten passiert ihr Taumelei auf dem Seil.) Doch Erntge glaubt nicht mehr ans Spiel. Da soll nun Neues her. Gern auch für ne Weile Tetris.

Was es auch sei und wo es auch stattfinden mag: bereit ist Erntge und grüßt alle Krähen freundlich. Übrigens sind die gar nicht so schwarz wie man so denkt, sondern schillern in allen Farben bei Sonnenlicht.