Brüll-Gorilla.

March 14th, 2017


Wenn es einen Grund gibt, warum Erntge dem dumpfen Brüll-Gorilla endlich wuchtig gegen das Schienbein tritt, dann diesen: Erntge hat das überbordende Privileg, stets von einer Handvoll achtsamen und wohlwollenden Menschen umgeben zu sein, die sich für Erntge das Beste erhoffen und sie stärken wo es geht. Danke! Soll er sich krümmen und möge es Gehirnzellen über ihn regnen. Affe.

Klar sehen.

January 17th, 2017


Where do we live? – Earth, earth.
How did we get here? – Birth, birth.
Why do we stay? – For what is worth.
What is worth? – Time, time, yours and mine.
When do we start? – Now, now, how about now?
Ok. How?*

Familiär ist dieses ewige Kreisen worum es geht. Gehen kann. Gehen soll. Muss! Das fühlt sich immer öfter eckig an, eirig gar. (Und da merkt man schon am Wort, dass das manchmal schief geht.) Die Klojahre sind lang verjährt. Auf Klo folgt Entkeimung, Sterilisation und Enthärtung. Alles zielt auf Reinigung ab. Zwischen Yogaseilen und Cassia Fistula hofft Erntge auf etwas Klares. Etwas Einfaches: eindeutig, gelöst, hell, natürlich und bestimmt. Erntge weiß, dass dafür wichtig ist, wie man sieht.

*Von Brandon Miller. Auf Sarsaparilla: Everyone seems so familiar.

Legen Sie den Porree nieder!

December 6th, 2016

bd2
Fabcaro ist ein Comic-Autor, der aktuell mit allen Preisen überschüttet wird, die die französische Szene bietet. Er ist aber auch großartig! Sein Road Movie Zaï Zaï Zaï Zaï hat Erntge tief beeindruckt, denn er sprüht vor Witz und angeschrägter Sozialkritik.

Die Story ist schön: der Typ im Supermarkt hat seine Treuekarte nicht dabei. Oh man. Vergessen in der anderen Hose, die dreckig war. Wie geht das! Schon drohgebärdet der Security-Heinz, gefährlich!, – ein Porree wird erhoben, – der Typ flieht und zurück bleibt die schwachmate Kassererin mit psychologischen Beistand im Blaulichtschein. Die Jagd beginnt.

Dann geht alles drunter und der drüber: der Porree zerfällt in der Kriminaltechnik, die Todesstrafe entert das lockere Bargeschwätz, die Politikmenschen übertrumpfen sich im Schaumschlagen von Seife, das Reportervolk perfektioniert den Umgang mit Menschenmarionetten. Glückliche Menschen fiebern fehlenden 37 Treuepunkten zum Raclette-Set entgegen und fühlen dabei: Liebe!

Besonders gefällt Erntge das wohl dosierte und so messerscharfe Vorbeischlittern an Moral, Ethik und politischer Korrektheit. Kein Sozialmilieu, das verschont bleibt. Wahnsinn.

Mehr (Französisch) lesen.
(Fabcaro, Zaï Zaï Zaï Zaï, 6 pieds sous terre éditions, 2016)

Es sprüht Funken.

November 10th, 2016

thats-her
Es gibt Skorpiontum vor, jedoch. Ist es kein Stachel; ihm wachsen Harpunen aus dem Arsch. Kampfbereit aufgereiht, angespitzt, mindestens zwei Kinderhände braucht es zum Zählen. Auch von vorn: perfekter Panzer. Es hat irgendwas von Militär. Was Überwachendes scheppert. Unhackbar, weil analog. Ist das beim BND bekannt? BfV? Aus seinen Augen schaut es bergab, so hoch ist das Podest, auf dem es thront. Die Luft dort oben scheint dünn, denn es röchelt häufig. Vor allem kurz vorm Fauchen. Seine unschlagbare Geheimwaffe? Das glaubt kein Mensch, wie wenig es braucht. Wie gewieft, weil überraschend: Es betritt die, die am Boden liegen. Spuckt Feuer um die Ohren derer, die zaudern, hadern, zadern. Sich sehnen und dann vom Fleisch fallen. Es sprüht Funken! Sternenhagel, Funkenschlag, aus seinen Augen blitzt es rücksichtslos und mit Tonnengewicht. Immer dasselbe: es vibriert hochgespannt. In diesem Moment könnten es phantasievolle Menschen gar für einen Vogel halten. Der platzt. Nie. Und danach: bewegt sich keine mehr. Totale Paralyse. Altersheim in Zeitlupe.

Und all das ist, ehrlich gesagt, das Allerletzte. Und wieso ist das so. Und wieso geht das. Und wieso verdammt noch mal fällt Erntge nichts dazu ein!

Löderups strandbad, Ystad kommun, Sverige

October 29th, 2016

nils

– Nils, ich fass es nich!
– Was los, Schatz.
– Also ich les hier dieses Buch über diesen furchtbar altbackenen Uniprofessor, der an sich ist ja schon unerträglich in seiner Rückwärtsgewandtheit.
– Wieso?
– Ach, der ruht sich aus auf irgendeiner Doktorarbeit, die er mal geschrieben hat zu Huysmans und kriegt in seiner Egozentrik keine Beziehung gebacken. Außerdem nervt seine übelst sexistische Überheblichkeit.
– Ach Marie, du olle Feministin.
– Wirklich! Der hält sich für den großen Stecher, dabei ist alles Körperliche gekauft.
– Gibt eben arme Würste, Marie.
– Naja, jedenfalls wird Frankreich in diesem Buch komplett umgekrempelt, weil die Fraternité musulmane politisch so erstarkt ist, dass alle alt aussehen bis auf den Front National.
– Ogottogott, wie gruselig.
– Also 2022 spielt das.
– Ok.
– Na jedenfalls: alles islamisch dann: Scharia, Patriarchat, Polygamie. Die Juden wandern aus nach Israel und die Sorbonne wird die erste und größte und schönste islamische Uni in Europa.
– Waaas? Was ist denn das für ein Buch?
– Das ist von diesem Houellebecq, Michel Houellebecq.
– Ah.
– Na jedenfalls, jetzt am Ende des Buchs, hat sich dieser nutzlose Held überlegt, dass sein Leben eh total langweilig und sinnfrei wird, also lässt er sich kaufen und konvertiert zum Islam.
– Na bitte.
– Na was? Hallo!! Nils, der verrät sämtliche Errungenschaften des Westens.
– Wie…
– Demokratie, Laizität, alles. Und das Schärfste kommt ja noch: er macht das vor allem, damit ihm die islamischen Brüder dann Mädels besorgen, die sich ihm in allen Belangen komplett und gern unterwerfen.
– Oha.
– Nils, das ist doch widerlich. Das ist so wenig, verstehst! Mitmachen aus Langeweile und weil man sonst nix zum vögeln kriegt? Ehrlich, das macht mich ganz wütend. Ich will sofort, dass eine Michelle Houellebecq die gleiche Geschichte aus ihrer Sicht schreibt. Los!
– Marie Marie Marie… wer will kricht auffe Brill, weißte doch.

(Michel Houellebecq, Soumission, Flammarion, 2015)

Haben Sie alltagsrelevante Fähigkeiten?

October 9th, 2016

sei-kein-frosch
Zwischen Tanzschritt und Theke findet Erntge einen Schatz. Auf 48 dünnen und recycleten Seiten wimmelt es Fragen für alle. Schöne. Welche, die sich um Ecken schmiegen. Einige davon brauchen länger und machen dann knack:

Wollen Sie weniger sehen als Sie können oder müssen?
Hat alles schon richtig angefangen?
Wie viele Tabs sind offen?
Wofür sind Sie ganz allein verantwortlich?
Kämen Sie gern ohne Körper aus?
Ist es gut, dass es Umgangsformen gibt?
Geht’s noch?
Wurden Sie ausreichend auf das Erwachsenenleben vorbereitet?
Amüsieren Sie auch Ihre dunkleren Gefühle?
Wie stehen Sie zu Überdruss und Hoffnung?

Erntge denkt an jemanden, den sie wiedersehen möchte. Schon lange. Dessen Antworten auf einige dieser Fragen würden Erntge wahrscheinlich entzücken. Vielleicht sogar eine Lücke füllen. Aber ach. Diese Person ist Lichtjahre entfernt und ein Frosch.

Musik, Leben komplex.

October 3rd, 2016

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Aus dem Gerät schweben Töne wie Ideen. Schön und schief. Altes, ganz Altes, Stabiles, Postmodernes und das, wofür es noch keine Schubladen gibt. Stadt verlassen? Mit wenigen mehr werden? Lumpen weg, let’s fetz mit Kuscheltierchen. Helle Noten auf dunklem Blau: 4 Zahnreihen blitzen. Und hier, Fähren buchen, egal, der Rest ergibt sich. Tage, die mit einem von Bachs Psalmen beginnen, können übrigens ganz übel enden. Mit Misanthropie zum Beispiel und zu vielen Orangensäften. Mit Ennui sogar. Mit Überarbeit. Was dann an die Ohren geht: wo nämlich Lübzer rein- und Alster rauskommt, da knurrt jemand in sein Glas. Auf dem Dorf gibt es das nicht, da ist Ruhe. Kein Artamanengespräch wird hier verpasst oder ausgelassen. Auf welche Schule soll nur Hellrun? Los, dreh lauter!

Harmlos und wahr.

September 18th, 2016

katz
Einige Sachen haben sich eingeschlichen und tun jetzt so familiär.

Eine Ja-Katze sagt plötzlich nein.
Es knirscht in der Achilles-Sehne.
Die Zähne werden täglich weißer.
Zuhause zieht es durch. Es geht.

Und im Zoo muss jemand Pillen verteilt haben: alle Tiere gähnen.
Tiere, die gähnen, sind friedlich. Sie machen keinen Dreck.

Annehmen und Abgeben.

September 1st, 2016

annehmen
Also Packsack borgen, Zedan einpacken, Ohropax kaufen. Den dünnen Schlafsack? Eine Rolle Klopapier, Fahrradhelm. Und Spanngurte. FAHRRAD!!! Gut. Eine Fahrradtour soll es also werden. Elf Tage lang. Und Erntge hat keinen Schimmer. Weil die Schüler diesmal „alles“ „geplant“ haben. Fünf Tage vor Abfahrt können sie weder Ziel noch Startpunkt nennen. Aber, dass das Essen immer in Supermärkten gekauft wird. Und dass wir 2x im Zelt schlafen werden, Erntge hätte doch eins? Äh, ja klar! Ob man also auf dem Jakobsweg auch Fahrrad fahren kann, werden wir herausfinden. Ebenso, ob die boys ihr Rad im E-Fall geflickt kriegen, da wollen sie sich am Wochenende ja noch mal was auf youtube zu angucken. Erntge darf sich jedenfalls elf Tage lang in nichts einmischen! Nur aufpassen, dass keiner bei stirbt. Das wird bestimmt toll. Und am herausforderndsten natürlich für Erntge. Diese gerissenen Halbstarken: statt sich selbst, fordern sie Erntge heraus. Die will jedenfalls planmäßig annehmen und abgeben.

graphic hi_story.

August 26th, 2016

zinn 1

Ein Hoch auf das liebste Meerestier. Sie hat es wieder getan und Erntge ist jetzt verliebt in Howard Zinn. Leider ist der schon tot. Aber frischer denn je ist seine „A people’s history of American Empire“ (2008). An der neusten Schublade in Erntges imaginären Schrank der tausendundeiner Literaturgattungen steht schick „graphic history“.

Keiner mag die USA. Zinns Buch erinnert daran, wieso. Aus den Perspektiven Unterdrückter wird die stumpfe Ausbreitung des US-amerikanischen Imperiums über die Jahrhunderte nachgezeichnet. Dabei stehen individuelle Schicksale und historische Details im Vordergrund. Die leichten schwarz-weiß-Zeichnungen von Mike Konopacki vermitteln die schwere Geschichte von immergleichen Größenwahn, Anmaßung und Arroganz. Sie werden sorgfältig mit authentischem Quellenmaterial untermauert. Die Handlung rahmt die Person Zinn selbst ein: wir fühlen uns wie bei einer seiner Vorlesungen, in der Geschichte lebendig wird. Dass Zinn so ein engagierter Typ ist (Bürgerrechte, Friedensbewegung), macht ihn unglaublich sympathisch. Klug!

Zahlreiche Anekdoten lassen uns kopfschüttelnd zurück. Beim spanisch-amerikanischen Krieg starben übrigens 94% der Soldaten an … Gammelfleisch! Die Firma Amour and Co aus Chicago verkaufte 2,5 Tonnen verdorbenes Fleisch an die Armee.

zinn 2

Was nun tun mit der ganzen Wut auf diese große Schweinerei US-amerikanischer Kolonialgeschichte? Nach dem Moro-Massaker (US-Soldaten kesseln auf den Philippinen 900 schutzlose Indigene ein und schlachten sie regelrecht ab) gratuliert Präsident Roosevelt zu dieser „brillianten Glanzleistung“ durch die die „Ehre der amerikanischen Flagge“ so hoch gehalten wurde. Das ist widerlich. Erntge wusste nicht, dass Mark Twain seine letzten 10 Lebensjahre dem Kampf gegen die Besetzung der Philippinen widmete und dass er sich als Anti-Imperialist eine US-amerikanische Flagge mit schwarzen statt weißen Balken und mit Totenköpfen statt Sternen wünschte.

Auf die Ereignisse von 9/11 reagiert Zinn mit dem Vorschlag eines neuen Denkmodels: an den Schmerz derer denken, die überall auf der Welt Opfer US-amerikanischer Militäraktionen geworden sind und bewusst entscheiden, keinen Krieg zu beginnen. Politik und Medien kritisch hinterfragen. Sich klar machen, dass die Invasionen in Afghanistan und im Irak keine Einzelereignisse seien, sondern Teil eines wiederkehrenden Musters US-amerikanischen Verhaltens.

Es gibt diesen kleinen Film „Empire or Humanity? What the Classroom Didn’t Teach Me about the American Empire
 by Howard Zinn“, der einen sehr guten Einblick ins Buch und Zinns Auffassung gibt.