Woanders, nicht tot.

August 9th, 2021


„Enrico, du siehst fertig aus. Erzähl mir alles. Was. Her mit den Verheißungen, den Zerreißungen. Dem ewigen Fragen und dem immer Probieren und was am Ende ist und bleibt. Schnaps?

… Achso ja, wir müssten Termin machen, spontanski kriegst du mich nicht mehr. Das inzwischen kompletto over and out. Funken und Morsen passiert im Halbschlaf und die immer neuen Alphabete durchschau ich doch nicht mehr.

… Wach? Ich? Hör auf, gleich flenn ich.

… Fern von Zeit.de und Tagesschau ist es gut. Still Glüxpilzin, weißte doch. Die Blase funkelt in freundlichen Farben: achtsam—smaragd, nachsichtig—violett, knisternd—beige. (Also auf Arbeit. Zuhause fluoresziert es öfters.)

… Eben nicht! Für Zynismus hab ich doch gar keine Wut übrig. Den Fehlfarben hab ich das ja übrigens mal vorgeworfen, direkt nach dem Konzert in ihre schnöde süffisante Glückseligkeit. Jetzt schäm ich mich. Und frag mich, wie andere im Park joggen, als wär das das Normalste der Welt. Wenigstens trink ich wieder.

… kann es sein, dass schon wieder nur ich erzähl? Ist das schon NLP von dir?

… das letzte Konzert, das ich verpasst hab, waren Tocotronic. Das mir und andern Dinge Schönreden hab ich aber inzwischen perfektioniert, könnt ich direkt nach Tokyo mit, wär das nicht schon vorbei und ich nich so fuzzy wegen dem ganzen Coronashit. Du auch? Keine Ahnung, es ist echt bescheuert und seitdem irgendwie immer latent Paralyse, findst nicht auch?

… also gut. Berlin, ja? Ich hasse Berlin. Ich komm. Sag wann.“

wer bist du wie wars

September 10th, 2019

Ok, also ich soll hier diese Umfrage machen. Vielleicht war ich ja gar nicht auf der at.tension#8! Nagut, also los. Ich bin ein komplexes Kulturangebot. Wenn du’s runterbrichst und Kunst so definierst, dass jede/r reinliest was er/sie will, dann bin ich sowas wie ein löchriger Käse. Um im Bild zu bleiben: nicht alle mögen wie ich rieche und einige gehen auch direkt an mir vorbei in die Gemüse- oder Fleischabteilung. Am liebsten tummel ich mich im Abseits und ich freu mich, wenn sich Leute nach mir auf die Suche machen. Auf ihre leuchtenden Augen, wenn sie meine Sprache in Ansätzen verstehen. Die fragen mich dann auch nix Bescheuertes, die kieken einfach, sind unaufdringlich und nicken mir komplizenhaft-schelmisch zu. Ich mag die. Für genau die bin ich da. Die würden nie Selfies mit mir machen und irgendwo in eine onleine hipster-Scheiße reinladen. Denen geht es wie mir um den Moment. Wenn plötzlich alles oder was aufgeht.

Endlich fragt jemand! Ohne zu übertreiben: ich bin sowas wie der Puls der Zeit. Ich bin wahnsinnig international. Und polyglott. Jede/r kann mich verstehen, ich bin für alle da. Ich kann höher, tiefer und in alle Richtungen. Am wohlsten fühle ich mich in Menschentrauben und allen steht der Mund offen. Das kann ich nämlich gut: ich bin so effektiv und schaffe allseitige emotionale Beteiligung in weniger als 2 Minuten. Meistens krieg ich sie alle und die meisten finden, ich sei mein Geld wert. (Alle die behaupten, es ginge bei Kunst nicht um Geld, sind Schnacker oder Millionäre.) Wenn der Jetset mich ausleiert, dann hab ich Licht und Ton in der Trickkiste immer dabei. Wie gesagt, ich krieg sie alle. Auf Wunsch spiel ich auch auf Hochzeiten und Familienfeiern. Wie gesagt: ich bin für alle da. Sozial is mir halt mega wichtig!

Umfrage! Müssten wir eigentlich verweigern. Wir sind sowas wie die Chaospolizei. Wir versuchen an Leuten zu rütteln, indem wir ihnen ihr regelkonformes Verhalten vorwerfen. Also als Beispiel: wir brüllen Menschen auf Rädern hinterher, sie sollten gefälligst Schlangenlinien fahren. Oder husten Leuten in den Nacken, wenn die so akkurat rumstehen. Unser Job is übrigens gar nicht so leicht, weil immer alle so drauf getrimmt sind und werden, sich an Regeln zu halten, statt sie zu brechen. Meistens gibt es immer die gleiche Reaktion auf uns: erst zucken alle zusammen, dann lachen sie erleichtert.

Und das is hier wirklich anonym? Ich hab echt kein Bock auf Stress. Das muss anonym sein, sonst mach ich‘s nich. Also gut. Ich bin der Arsch, der sich in der letzten Minute immer in die Schlange ganz vorne stellt und dann in die Veranstaltung reinkommt. Im Gegensatz zu den Idioten, die da Stunden vorher und so beschissen hippiemäßig auf der Wiese hocken und brav warten. Selber Schuld. Diese Spackos. Ich weiß nich, aber dieses ganze Gutmensch-Achtsamkeits-Gemeinschaftsmärchen … also ich glaub da nich dran. Ich zahl doch nich 95 Tacken für rumsitzen. Nä. Ich mein, wer da Bock drauf hat, bitte. Ich nich. Und es hat sich übelzt gelohnt: ich hab sie alle gesehn: Laura Murphy, alle Adhoks, die Riesenpuppe – alles. Also ich fand‘s geil dies Jahr. Außer die Fressstände, ey da müsst ihr echt was machen. Außer Mecklenbörger alles scheiße überteuert und zu lange warten.

Erntge zu Gast.

July 29th, 2019

Sind die Löffel echt aus Gold?
– (Kicher.)

Von wem ist das Bild vor eurem Fenster?
– Pah!

Angenehm kühl hier, ich mein, woanders sind jetz 40 grad.
– Nicht wahr.

Irgendwie knittert meine Stirn so.
– Wir lieben dich Erntge. Du bist wunderbar. Möchtest du Torte?

Eigentlich… ja! Schieb rüber. Geil, das ist Sachertorte?
– Aus Österreich.

Hmmm. Aber wieso geht mein Stirnknittern nich weg?
– Die Yacht kriegst du uns nicht ausgeredet, vergiss es.

Und zögere bloß nicht.

January 16th, 2019

Sie kritisiert deine Frisur? – Lass dir die Haare färben wie sie.
Sie schimpft über Rihanna? – Fang an, Rihanna zu hassen.
Sie braucht deine Leber? – Mach einen Termin beim Chirurg.
Sie möchte ein Date mit deiner Liebe? – Zieh ihm sein bestes T-Shirt an.
Sie findet deinen Urlaub gut? – Überschreib ihn ihr.
Sie hat ihre Wohnung zerlegt? – Biete ihr deine an.
Sie will dein erstes Kind? – Gib es ihr.
Und sag irgendwas mit „von Herzen”.

Erntformation.

December 30th, 2018

Es war ein winziger Schnitt. Selbst der Haarspalter, der mit dem Mikroskop daherkam, äußerte sich nur vage. Kaum traute sich Erntge das Glauben, bestärkten sie sogleich die drei austretenden Blutstropfen. SIE hatte nur einmal angesetzt: ein kurzer, lustvoller Stich in die Ferse. Weh tat es nicht. Es kribbelte nur sehr, als SIE geschwind die spitzen Finger zwischen Haut und Fleisch schob und das letztere vom ersteren trennte. Ganz sauber stülpte SIE Erntge um. Erst den linken Fuß, linke Ferse, Unterschenkel, Knie, Oberschenkel. Dasselbe auf der rechten Seite. Kehrte Erntges gesamtes Inneres nach außen. Kein Organ war mehr an seinem Platz, einige baumelten verzückt vor der nun sichtbaren Wirbelsäule. Erntge hatte mit mehr Sauerei gerechnet, aber die Angelegenheit kam ihr nun ziemlich sauber vor. „Die Schleimhäute musste bisschen feucht halten, am besten viel Ostsee, das Salz schützt dich auch vor Infektionen.”, raunte SIE, als sie Erntges Augen nach außen drehte. Dass SIE einen exakten Plan zu haben schien, beruhigte Erntge ungemein: „Gut.” Erntge schaute sich um. Auf dem Regal waren noch diverse Utensilien, mit denen sie gleich dekoriert werden sollte. Geduldig, weil vorfreudig, ließ sie alles über sich ergehen.

„Eins noch,“, sagte SIE, nachdem alle Utensilien an ihrem Platz waren, „du musst noch einen Umschlag ziehen.“ In IHREN Händen hielt SIE zwei unscheinbare Umschläge, vielleicht waren sogar Kaffeeflecken auf dem kleineren. „Okay.“ Erntge griff nach dem mit den Flecken und gluckste kurz, als sie auf ihren Unterarm sah. Blaue Adern zogen sich über die glänzende Haut, alle Knochen lagen alle offen. SIE öffnete den Umschlag, lächelte kurz und sagte: „Alles was war, kommt zurück.“ Erntge nickte und fand das reichlich esoterisch. SIE verstand wohl und ergänzte: „Jeder Wutanfall, jede Zigarette, jedes Mal zu spät nach Hause kommen, jede Lüge, alles wirst du noch einmal erleben. Von der anderen Seite aus.“ Erntge nickte wieder und fragte sich, wie sie eigentlich ohne Zeh- und Fußnägel leben sollte. Ihr dämmerte, dass die gemeinsame Zeit mit IHR dem Ende entgegen glitt, deshalb versuchte Erntge sich zu konzentrieren.

„Was ist mit meinem Gedächtnis?“, fragte Erntge also, „wo wird das aufbewahrt? Krieg ich das danach zurück?“ Erntge schauderte. Innen kitzelte es seltsam. Gänsehaut? „Meine wilden Gedanken, die irren Bilder, die Wörter, der Abgrund, wo bleibt das alles?“ Erntge sah auf ihr Herz, das auf einmal kräftiger schlug und das Blut durch die blauen Bahnen auf ihrem Körper pumpte. IHR Blick wurde nachdenklich. Sie sagte: „Du wirst dann im Jetzt sein. Immer. Und das wird gut und nötig sein. Sorge dich nicht.“ Dann lächelte sie ein letztes Mal und verschwand. Erntge träumte IHR kurz nach und machte sich bereit. Das war das Abgefahrenste, was sie je erleben würde, so viel stand fest. Und sie würde nicht allein sein.

Drei Schachteln.

November 27th, 2018

Erntge braucht jetzt drei Schachteln.

Eine für alle schönen Unglaublichkeiten der letzten Wochen. Sie soll dunkelgrün sein, gern samtbeschlagen mit Harry-Potter-mäßig verziertem goldenem Schloss und einem passenden vier Meter langen Schlüssel. Den Schlüssel wird Erntge nicht um den Hals tragen, das wär bescheuert, aber an einem sehr sicheren Ort verstecken und Erntge wird beruhigt sein, dass auf diese Weise nichts in Vergessenheit geraten wird. Vor allem nicht das Gleißende, das Überwältigende und das schier Überbordende.

Eine zweite Schachtel soll es geben für all die kleinen Quittungen körperlichen Verfalls und Erschöpfung. Jede Stunde von Schlafmangel, Rückenschmerz oder Drüsenstau wird quittiert mit einem jeweils blauen Papier. Sie werden allesamt in dieser Schachtel gesammelt. Auch wenn es keinen Pokal damit zu verdienen gibt (oder Walkman, wie damals beim Altpapier), wird die Unmenge an Blaupapier Erntge später trösten, was sie einmal körperlich imstande war zu leisten. Blau empfiehlt sich durchaus auch als Farbe dieser Schachtel. Wegen Corporate design und so.

Eine dritte Schachtel soll es geben für alle neuen Gefühle. Sie könnte, der Hoffnung und Träumerei wegen, von Einhörnern und Regenbögen verziert sein, das wäre nicht kitschig, nicht kindisch, sondern gut so. In dieser Schachtel werden sich alle neuen Ängste, Freuden, Gelassenheiten, Wutanfälle und bisher unbekannte Verzweiflungen die Hand reichen, in welchem Aggregatzustand auch immer.

Dann wird Erntge drittlings aus der Hängematte auf ihre Schätze schauen, lächeln, und sich wie ein sehr reicher Mensch fühlen. Das wird großartig.

Die schönste Auszeit.

September 24th, 2018

Kommst du im Sackgassendorf an, beiß kurz die Zähne zusammen. Links und rechts wohnen nämlich Quinquin und seine bucklige Verwandtschaft. Lass dich nicht irritieren, fahr weiter übers Kopfsteinpflaster, konzentrier dich aufs Pferd rechts. Ignorier die von den zerrupften Hühnern totgekratzte Wiese, weiter weiter. Am Ende der Straße bist du da. Lass dich von Stefanie drücken, von Ulli kurz anlächeln und pack deinen Proviant in die Schubkarre. Stolper über den Hof, du wirst merken, wie dein Atem ruhiger fließt. Spätestens an der Feuerstelle kannst du ihn sehen, den Bauwagen. Schnell, rein da, stell ab alles. Proviant, Zeitung, Aquarellstifte, die dicken Socken. Nimm die Hand deines Lieblingsmenschen und geh direkt die zwei Stufen hoch, die vom Küchenanbau ins Innere führen. Kurzer Blick auf den neuen Ofen, beim Kamin steht genug Holz für die nächsten Tage. Ab ins Bett, check kurz, ob Bücher oder Fotobände seit deinem letzten Besuch hinzugekommen sind, ein paar, OK. Dann ab unter die Decke, einkuscheln und Augen auf. Alle Fenster wurden für dich und diesen Moment gemacht. Links klappern Birken, vor dir die Rosen, über dir murmeln die Wolken: du bist da.

Jetzt auch noch die Kosmetikerin.

August 29th, 2018


Frau N.  
… aber was hier teilweise läuft, das geht echt gar nicht!

Ernt   Was meinen Sie denn?

Frau N.   Na die Merkel ist doch wirklich unwählbar. Die lässt alles unkontrolliert rein. Diese Massen an Menschen! Die Gewalt. Und was da für Gelder fließen! Wir sind die einzigen, die so blöd sind, schauen Sie doch mal nach Ungarn, oder hier, dieser junge Österreicher, der gefällt mir auch.

Ernt   Frau N., da sind wir beide aber ganz unterschiedlicher Meinung, ich könnte mich sofort übergeben, wenn ich dem Orban zuhören muss.

Frau N.   Was, wirklich? Mhm.

Ernt   (…) Wie viele geflüchtete Personen kennen Sie eigentlich? Was hat sich konkret in Ihrem Alltag verändert?

Frau N.   … na keine kenn ich, aber ich hab doch Augen im Kopf. Ich war letztens in Hamburg, da hab ich doch gesehen, was abgeht. Sie müssen doch mal hinter die Kulissen schauen! Oder gehen Sie doch mal ins Netz! Da gibts ja richtig Theorien drüber, dass Europa islamisiert werden soll, das ist gewollt!

Ernt   Sie wählen AfD?

Frau N.   Hab ich schon. Natürlich! Aber mir gefällt auch diese Sahra Wagenknecht.

Ernt   Frau N., was wäre denn Ihr Wunsch für die Zukunft? Sind Sie dafür, um Europa eine hohe Mauer zu bauen, damit keiner reinkommt und wir das Elend draußen nicht mehr sehen müssen? Ich meine, die Menschen wandern doch seit Jahrtausenden, um bessere Lebensbedingungen zu finden. Und was würden Sie machen, wenn Sie in der Sahel-Zone leben, ihr Haus ist überschwemmt, es gibt kein Wasser oder um sie herum herrscht Chaos und Gewalt?

Frau N.   Was hat denn das jetzt damit zu tun. Nein, nein. Wir beide werden uns nicht streiten, oder?

Ernt   Naja, wenn Sie menschenverachtende und rassistische Anschauungen haben, dann find ich, müssen wir darüber reden.

Frau N.   Waaas? Ich bin doch nicht rechts! Ich bin total gegen Gewalt!

Ernt    Warum denken Sie, Deutsche wären besser als Muslime?

Frau N.   Sag ich nicht, aber die beiden Kulturen passen einfach nicht zusammen. Das mit der Integration ist totaler Quatsch. Die sollen in den Ländern was unternehmen. Die sollen… Frauen sind da gar nichts wert, die Männer benehmen sich nicht, da muss man ja als Frau Angst haben, nachts über die Straße zu gehen!

Ernt   (…) Frauen werden auch von deutschen Männern missbraucht. Die Medien -…

Frau N.   -… so ist genug. Wir wollen uns nicht streiten.

(…)
Frau N.   Die Haut ist aber gut geworden.

Ernt   Ja, die Sonne hat’s gut gemeint.

Freier Fall.

July 31st, 2018


Während sich die meisten Menschen immer schön vom Abgrund fernhalten (Bodenlosigkeit, Verzweiflung, Untergang und so), gibt es eine Frau, die sich dort häuslich eingerichtet zu haben scheint.

Carolein Smit hat in ihrer Ausstellung „L’amour fou“ die fiesesten Familienfotos und Schaurigkeiten in regelmäßigen Abständen an den Abgrund platziert und lädt die Betrachter freundlich ein, sich doch bitteschön hinab zu begeben. Und da muss jede selbst entscheiden, wie weit sie geht. Wer zögert verpasst den freien Fall, den Verwesungstanz, zu dem sich Schönheit und Tod vertraut die Hand reichen.

Erntge hat sich getraut, in Leipzig, wo die Ausstellung noch bis zum 30.9. zu sehen ist. Für die 30 großformatigen Einzelplastiken (aus Keramik) brauchte sie fast zwei Stunden und danach ging auch echt nur noch Badesee. Wie es der Künstlerin gelingt, das Unfassbare, den Schmerz und die Ausweglosigkeit dermaßen eindringlich und ästhetisch in Form zu gießen, bleibt Erntge ein großes Rätsel. Was träumt erst diese Frau, wenn sie solche Plastiken schaffen kann?

An der Oberfläche des Badesees träumt Erntge und genießt oben die Wolken und unten die Vorstellung eines festen Grundes. Carolein Smit, die krasse Alte, bohrt sich durch Schling und Schlang und verfaulte Gase rein ins Dunkel unterm Grund! Schmeckt Modrigkeit im Mund, erträgt Krebsiges im Auge, Vielfüßler zappeln sich durch ihre Nase. Wie hält sie das aus und warum hat sie keine Angst vor dem, was sie dort unten noch nicht angetroffen hat? Dass sie alle ihre Meisterwerke so üppig und fast kitschig bunt dekoriert, macht jetzt total Sinn für Erntge.

Zwei Menschen, zwei Häuser.

July 12th, 2018

Sie hatten sich an der Wurzel getroffen. Es brummte und summte so schön im Gras. Im Herbst roch es nach Pilzen und im Sommer lagen sie unterm Rauschen der Bäume. Endlose Tage.

Schließlich verließ sie ihn für die Stadt mit ihrem Labyrinth aus Mauern, Menschengesetzen und Wunderräumen. Ihr begegneten Liebe und Gewalt, manchmal versperrten ihr die vielen Wegweiser den Weg. Selten besuchte sie ihn noch im Wald.

Sein Haus veränderte sich mit jedem Jahr. Nach und nach hatte er Moos und Geäst durch Ziegel und Steine ersetzt. Fragte, wo er Zaunlatten kaufen könne. So schön hohe, die Sonne blende ihn nämlich so schrecklich. Er zäunte alle Weite ein und genoss die Stille.

Sie hatte inzwischen alle Räume der Stadt angeschaut und wählte das Haus, das den Himmel berührte und in dem sich nachts der Wind ausruhte. Hier standen alle Türen offen und nicht selten besuchten sie Amsel, Taubi und alle anderen Flugtiere. Sie fühlte sich angekommen.

Als sie ihn wieder einmal besuchte, grub er sich grad fröhlich ins Erdreich und lobte die dunkle Feuchte, die ihn nun umgab. Mit leuchtenden Augen beschrieb er die beklemmende Enge und Kälte seines Kellers: er halte sich überhaupt nur noch hier auf, das Gezeter und Chaos oben reibe ihn nur auf. Er hatte sich vielerlei Utensilien zugelegt, um Insekten und Leben fernzuhalten. Sie erschrak, als er Asseln und Schlangen direkt vor ihren Augen totschlug. Er hatte ein Regal in die triefende Erde gebaut, wo er Gift, Fallen, kleine Speere, Stacheldraht und Unmengen dieses seltsamen Tranks hortete, der seinen Körper zersetzte.

Anfangs fragte sie noch: vermisst du nicht die Sonne? Das Vogelgezwitscher? Die anderen? Die lustigen Sachen? Die Wunder, die oben passieren? Sein erschütterndes „Nein, verdammt!“ traf sie tief. Die roten Tropfen, die danach häufig von ihrer Lippe fielen, sah man auf dem dunklen Erdboden nicht.

Betrübt kehrte sie heim. Ging in ihren Garten und pflegte die zarte Wurzel. Sie legte Moos aus und schaffte allerlei Geäst und Steinchen herbei für die Insekten. Sie schlief unter blankem Himmel und wünschte, viele Vögel möchten in der Nähe brüten.