Wo der Lindwurm mit dem Schwanz wedelt.

July 23rd, 2023

Wo der Lindwurm mit dem Schwanz wedelt steht ein Haus, das im Sommer sieben Tage lang seine Türen öffnet. Da kommen dann alle rein, die lächeln möchten. Der Tisch steht in einem verwunschenen Garten direkt hinterm Schlagzeug und ist reich gedeckt, er schillert in den leuchtendsten und freundlichsten Farben. Hinten am Teich wohnen die Nagas, dort geht niemand mehr baden, das ist nun ihr Revier. Um den Tisch herum versammeln sich dann dreimal am Tag die Menschen, die lächeln möchten. Manche kennen sich vom Vorjahr. Oder dem Jahr davor. Oder von als alles anfing. Nicht nur dem Lindwurm ist über die Jahre die Puste ausgegangen. Doch strotzt er an diesen sieben Tagen im Sommer vor Lebenslust und sprüht sein Feuerwerk in alle Ecken des Gartens. Es kam schon vor, dass Gäste oder Teile des Hauses Feuer fingen. Erntge hält das heimlich für eine Taktik des Wurms, dank derer er sich alle anderen Tage des Jahres auf seinen Brandlocherfolgen ausruhen kann. Warum auch nicht. In seinem Alter.

Wo der Kindwurm mit der Uhr wedelt wohnen sieben Tage im Sommer diese zwei Menschen, die den Leuten beim Lächeln helfen. Sie machen das sehr leise und sehr laut, ihre Sprache versteht kein Mensch und es hat immer mit Duft zu tun und unzählige Reiskörner fliegen dann über den Hof. An diesen sieben Tagen im Sommer beschiedsrichten sie das Pingpongspiel von Heulen und Lachen vor dem Komposthaufen und alle sind so schön durcheinander. Da ist Zeit. Da ist Raum für alles was von innen kommt, nicht von außen. Manchmal muss Erntge ganz schön kramen. Einst haben die beiden Erntge ein Geheimnis verraten, das Erntge bis heute nicht verstanden hat. Vielleicht nie begreifen wird.

Wo der Sprungturm mit der Treppe trödelt fragt sich Erntge, wie sie etwas vom Flow dieser sieben Tage im Sommer in ihren Alltag gezimmert kriegt, nämlich in den stürmischen Herbst und in den klirrenden Winter und in den tückischen Frühling. Und 254 gegen 3 – wie soll das überhaupt gehen? Erntge weiß natürlich, dass ein bisschen mehr als nichts ist, aber reicht das? Kuladeva, Jangeli, Shikari und Naga… here we go. Mal sehen wie weit. Ein neues Flug-Haustier hat sich jedenfalls schon eingeklinkt und wohnt neuerdings auf dem Balkon. Vielleicht fliegt es ab und zu den Lindwurm grüßen, der mit dem Schwanz wedelt, das würde Erntge freuen.

Wegen Stromausfall.

February 9th, 2023

Es ist irgendetwas zwischen Aufräumen und Kämpfen: “Hör auf zu lachen, es geht hier um was!/ Es geht hier um Gott verdammt alles./ Ja, genau. Wie immer./ Wie neulich.”

  • Schreiben
  • Vergänglichkeit
  • Verlust, drohender
  • Keine Ahnung
  • Kulturpessimismus, generell, speziell
  • digital und analog
  • werden & würgen
  • was ist eigentlich twitter
  • Option Kosumverweigerung

Verstehen.

January 26th, 2023

Erntge hat’s gut. Liegt gestern doch unverhofft ein Appell im Briefkasten. Bunt, schokoladig, mit Einhorn. Und appelliert effektiv und laut, dass Erntge sogar versteht. Ja, man! Alles klar! Danke. Erntge hört also wieder auf mit Schmollen und Internisieren und Kuhverhalten gegenüber ihren oll-verwollknäulten Gedankenfetzen. Es stimmt ja und nützt ja nix. Es muss raus raus raus und zwar kräftig und so wirr wie es ist.

Mein Film dein Film.

November 2nd, 2022

Ich glaub, deine Leinwand ist defekt. Alles verschwommen und verzerrt. Ich kann gar nich hingucken. Schick ma bitte ´ne Anleitung.

… Nee, immer noch nicht. Die Bilder, die ich dir mal ins Album geklebt hab, … die will ich sehen! Kannst du die abspielen bitte.

… Nein. Es bewegt sich was, das schon, aber nur so mit Knitterstirn und in maulig. Das Kind hängt ständig vor der Linse, man sieht nix, nur Haare und Milchzähnchen.

… Waaas? Na was ich dir mal zum 40. geschenkt habe… da sind auch viele Schwarz-Weiß-Aufnahmen dabei, wo du immer so drauf funkelst und strahlst. Herrmannshagen und Karnin… die Zeit mein ich.

… Ver-was??? Ich hab das nicht verstanden.

… Och menno. Ja schade. Ich muss jetz auch los. Nee, is gut. Nächstes Jahr denn? Ok. Mach’s gut.

Erntge ou l’optimisme.

April 12th, 2022

Erntges Strategien, angesichts des aktuellen welt- und lokalpolitischen Geschehens nicht durchzudrehen, neigen sich dem Ende. Viele davon waren Mist. Der neuste Versuch stammt nun aus dem 18. Jahrhundert und ist von Voltaire. Die bestmögliche aller Welten gibt’s demnach nicht, doch der Held Candide kommt nach irrer Achterbahnfahrt von Enttäuschung zu Enttäuschung zu dem Schluss, „daß wir unsern Garten bestellen müssen.“ (Candide, 112). Das klingt doch irgendwie sinnvoll und handlungsanweisend. „Lasst uns arbeiten, ohne zu räsonieren“, sagte Martin, „das ist das einzige Mittel, das Leben erträglich zu machen.“ (ebda.)

Ok! Erntge verbringt also den 4. Tag infolge im Garten. Drei Dimensionen. Zwei Lieblingsmenschen dabei. Eine Hummel. Zwitschervögel. Blüten. Sound ist Windrauschen. Hirn aus, Grubber an. Handbetrieb. Echtes Unkraut. Echter Muskelkater. Wow. Der Kopf ist aus und abends angenehme körperliche Erschöpfung. … das machen wir jetzt noch ne Weile.

(Voltaire, Candide, Rowohlt Hamburg, 1957)

“Aber der Name ist echt bescheuert.”

February 16th, 2022

Am pekigen Wackeltisch saßen sie so rum. Erntge hatte Fusseln am Mund, die Zotteln waren. Und Nora hatte riesige Ohren.
„Ich hab ma gelesen umso größer das Ohr umso belastbarer sind wir“, murmelte Erntge in ihren Tee.
Noras Stirn knitterte schief. „Ahja?“
Erntge kicherte. „Meine sind total klein. Und fein. Spricht fürn übelzt feinsinnigen Charakter. Mit Blick fürs Wesentliche.“
Nora stöhnte auf. „Man Erntge, du bist echt bekloppt.“
Eine Weile saßen sie so rum. Schweigend. Grinsend. Es tat gut. Alle Buchstaben lagen jetzt auf diesem versifften Tisch. Einige Ausrufezeichen konnte Erntge auch sehen hinter der Zuckerdose. Es tat einfach gut. Die jetzt alle hier versammelt liegen zu sehen in ihrer ganzen schönen durcheinanderness. So wie es eben war. Und ist. An diesem Tisch. Erntge war erleichtert, beschwingt und unfassbar gut drauf.
„Eins noch, Erntge“, sagte da Nora ernst, sodass Erntge kurz bang wurde. „Wieso Nora Noir? Der Name ist echt bescheuert.“
„Ohja, das ist er!“, entgegnete Erntge. „Aber what shall‘s. Andere Sachen sind auch bescheuert.“

La courte présence de l’absenthe.

December 5th, 2021

Bei -43° und zwischen fluoriszierenden Algen passierte es. Nora Noir und Erntge sitzen am Tisch und zack, kippt die Welt links und rechts weg. Vorne und hinten auch. Zwei am Tisch, umgeben von Abgrund. Erntge weiß nicht mehr, ob sie mutig oder verzweifelt war. Das Messer blitzte kurz, als Erntge es anhob und zustach. Erst ins eigene, dann in Noras Herz. Erntge war nicht mehr oder endlich ganz sie selbst. Zitterte wie blöd, heulte, hörte die eigene Stimme wie von 1000 Meilen unter dem Meer.

Erntge traute sich ganz kurz, Nora in die Augen zu sehen. Rechnete mit Wut oder Angst oder sowas. Nein. Da war eine gewisse Faszination in Noras Blick? “Erntge, endlich!”, schien sie ihr zuzuzwinkern. Wie schön sie war. Das war tatsächlich sie. Herrje, da war sie wieder.

Eine Sekunde später, als die Welt wieder um den Tisch herum hochklappte, das Gemurmel wieder einsetzte und neue Eisgewächse sich auf den beschlagenen Scheiben hochrankten, schüttelte sich kurz Erntge. “Was machen wir jetzt mit dieser Sauerei?”, fragte sie und zeigte auf die blutroten, zuckenden Klumpen auf dem Tisch. Erntge musste kurz an das Wort “Herzkompott” denken. Nora aber schüttelte ihren schönen Kopf zurück ins Jetzt und winkte ab: “Erntge, das machen wir später. Ich dank dir. Mach’s gut.” – Und weg war sie wieder. Dunkel, Schneepeeling von vorn und ein unfassbarer klirrender Wind. Später schenkte sich Erntge 3 Schnäpse ein und schlief so schlecht wie noch nie.

Von Herbst und so Litäten.

November 13th, 2021

Was haben Norma.lität und Real.ität mit Konsum zu tun. Was ist wann. Sind beides Orte, die Verbrauch feiern. Verzehr. Verlust auch. Bis irgendwas sich erschöpft. Aber dann nicht tot umfällt, sondern! Endlich klare Verhältnisse schafft. Jaaaaaa! Endlich Herbst, endlich nebliges Grau und formidabler Sprühregen von vorn. Erntge hat jetzt ein richtiges Fahrrad (sogar das Licht funktioniert!) und gurkt so durch die Normalität, die wieder Realität ist. Mit leuchtenden Blättern, die zwar sterben. Mit früher Düsternis, durch die jetzt aber helle Laternen wackeln. Mit Schnupfen, der zum Glück nur Schnupfen ist.

Ha! Auf der Straße bleibt Erntge letztens abrupt stehen. Was verwest denn da zwischen den grauen Blätterkadavern? Ogott, sind das drei kleine Spatzen, die armen Spatzen, denkt Erntge noch und wieso drei und wieso hier und was ist passiert. Aber nein! Nein, nein. Es sind keine Spatzen, die da im modernden Laubfriedhof liegen. Es ist verschimmelte Hundekacke. Puh!

Erntge macht sich bereit für diesen Herbst: er wird wunderbar.

Verstolpert. Fall.

September 22nd, 2021

Erntge hatte sich verstolpert. Oder vertreten. War irgendwie aus dem Rhythmus geraten. Bestimmt war es eine kleine Unebenheit auf dem Weg gewesen oder was kurzes Zuckendes im Fuß, sowas kommt vor. Nach dieser kleinen Flüchtigkeit war jedenfalls alles anders. Aus einem luftigen Gang war ein ächzendes Hieven geworden. Ein beherztes Ausschauen in die Weite war nunmehr unmöglich. Um Erntge herum war alles eng. Hohes dunkles Geäst verbarg die Sicht. Im unergründlichen Zähmoor tappte Erntge im Dunkeln. Zweidrei Wochen ging das so. Erntge konzentrierte sich auf ihre Vitalzeichen und … verpasste alles.

Der Traum, den Erntge dann hatte, als ihr die mit Rehhaut bespannte Trommel begegnete, war federleicht, friedlich und duftend. Der Traum, den Erntge hatte, war glasklar, ursprünglich und vollständig. Der Traum nahm Erntge in den Arm und gab ihr Kraft. Er bereitete Erntge auf den abgründigen schwarzen Schlund vor, der Erntge danach ganz und gar und aus dem Hinterhalt verschlingen sollte.

L’absenthe.

August 28th, 2021

Dass es sie gab, weiß ich ganz genau. Es gibt eine Menge Fotos zum Beweis. 100% ist sie das. Das Funkeln in ihren Augen. Das Schalkhaftige, etwas entzückend Verspieltes. Das Lust hatte. Auf Unbekanntes, auf Eckiges. Und dabei eine Wärme… allein wenn ich an die zurückdenk, wird mir warm.

Das waren Zeiten! Sie fehlt mir so.

Ich hab aufgehört sie zu sehen. Wenn ich mich mit der treffe, die aussieht wie sie… dann fühle ich mich einsam. Verlassen. Und auch betrogen. Es ist so offensichtlich! Dass sie nicht sie ist, das merkt jedes Kind.

Kann sein, dass sie sich entschieden hat, jetzt diese Frau zu sein, die aussieht wie sie. Kann ja wirklich sein. Aber… wieso! Immer Runzelstirn. Doppelter Panzer und alles komplex codiert. Keine Ahnung, irgendwas ist nicht echt.

Ich kann sie nicht mehr sehen. Jeder Moment mit ihr ist 100 Jahre lang und wie Teer. Und überhaupt wie ein Messer, das mich immer wieder sticht: sie ist es nicht. Das glaubt mir kein Mensch, wie sehr sie mir fehlt. Ich bin noch da? Ja.

Weiß auch nicht, wo ich suchen soll. Die, die aussieht wie sie, hat all ihre Klamotten geklaut. Macht einen Job wie sie, unterschreibt mit ihrem Namen.

Ich will nicht aufgeben, aber es ist unsagbar schwer. Wenn ich sie nur einmal wieder treffen könnte: ihre weiche Hand auf meiner, ihr schönes Lächeln nur für mich. Ihre unfassbar witzige Frische. Oder. Wenn ich wenigstens ganz sicher wüsste, dass die, die aussieht wie sie, glücklich ist. Oder wird. Und dass ich nicht schuld bin. Dann könnte ich meinen Frieden damit machen. Dann ja.