Erntge hat eine Party für Erwachsene probiert. Eine sehr nette Person hatte dazu eingeladen und also wollte Erntge dahin. Fünf Stunden blieb sie. Die ersten zwei wurde über OVS geredet. Eine schrille Person mit komischer Sonnenbrille in der Frisur und privat Golfspielerin, hörte nicht auf zu schnattern. OVS (on va sortir!) macht Erntge ein bisschen Angst: da kann man sich im Internet mit Leuten verabreden, um dann zusammen essen, tanzen, lesen, grillen, Musik hören oder Film gucken zu gehen. Oder was auch immer. Und verkauft wird das Ganze im Internet als DAS Ding, was dein Leben verändert. „Einmal angefangen, wird Ausgehen zur Sucht! Du hast echt überhaupt keine Zeit mehr, sondern triffst andauernd nette Leute, das ist der Wahnsinn!“, flötet die überschminkte Sonnenbrillenfrisur. Na herrlich, denkt Erntge, wer sucht denn so was? Den ruhigen Katersonntag mit sich selbst einzutauschen gegen die immergleichen Nullachtfuffzehngespräche mit Leuten, die man nicht kennt? Pfui! Und sich dann schön selbst vormachen, man hätte unglaublich viele Freunde. Zum Beweis gibt es ja dann ungefähr eine Milliarde Fotos von sich zusammen mit anderen Menschen auf der OVS-Internetseite. Wie man zusammen grillt oder Fahrrad fährt. Uaaah, nein danke!
Zum Glück bestimmte den Rest des Abends ein entpannterer Charakter. Über 50 war der, hatte Lachfältchen und ein Leinenhemd an. Der stellte sich auch gar nicht erst vor, sondern begann direkt über seine Tantra-Workshops zu berichten. Was da so geht, Energie und so, und dass das mit seiner Frau zusammen nich so gut geht, getrennt voneinander aber schon und wo die sexuelle Energie herkommt und wie die an einigen Punkten des Körpers gebündelt wird und wie das alles einen verändert und man schließlich über den Haufen wirft, was man über Männer und Frauen weiß. Oha! Und auch wenn Erntge nicht viel mit Esoterik anfangen kann, hat ihr der Opi gut gefallen, weil der ganz sanft war und immer lächelte.
Und nun denkt Erntge Erwachsene haben voll Angst vorm Alleinsein. Das wird entweder als unglaublich negativ empfunden und krampfhaft vermieden („Bei unserem letzten OVS-Abend waren wir 86 Leute!!! Die mussten für uns zusätzlich Stühle auf die Terrasse bringen!“). Oder aber es wird als Fehlverhalten zu korrigieren versucht und als Weiterentwicklung verkauft („Ich hab an mir gearbeitet, dank Biodanza kann ich jetzt viel besser mit Menschen umgehen… ich bin da jetzt echt viel weiter. Es ist großartig!“).
Und Erntge fragt sich, warum keiner glücklich ist mit dem, was er/sie/es ist und vor allem warum sie an diesem Abend kaum mit der netten Person gesprochen hat.