Balanz! Balanz.

July 19th, 2010

(Einen Vertrag mit der Bundesrepublik Deutschland unterschrieben. Mutti sagt: „Ich beneide Schafe.“ — Vier Stunden lang und wiegend Quatsch erzählt, Wärme ausgestrahlt. Das Baby hörte sich alles an und vergaß zu schreien. — Das ganz spezielle Trauma überlebt, (was drüber gelebt). Nun aber Krankenhäuser dringend meiden. — Christa Wolfs Kassandra versucht. Weggelegt und ganz fremd in der eigenen Sprache gewesen.)

Morgen schließt Erntge ihr altes Leben ab. Ein bisschen wackelig ist die Angelegenheit. Der Mut streichelt der Angst jedoch immer wieder freundlich über den Kopf und flüstert Liebes. Von unten das Nass: kalt, aber ohne Drohgebärde. Schwindel neckt mit der Angst vor dem Fall. Doch Erntges Stirn entkraust, der da ist wenn das Licht angeht. Dessen Nähe hält, wärmt und nach vorn zieht. – „Is okay, kann losgehn!“

Hier, nicht da.

July 13th, 2010

Eins zwei drei und ab. Zack ragen schief Beinpaare aus der Ostsee: große, kleine, dünne, dicke, welche mit Haaren, welche mit ohne. Ein helles Kinderlachen gesellt sich zum Zisch des frischkühlen Pils. Frisbeescheiben und Bälle grüßen sich kurz über der Wasseroberfläche. Und Essen knirscht. – Ein Zeltwochenende und Geburtstagsjubelfest liegen hinter uns. Am Ostseestrand, dem schmerzlich Vermissten: wo der Wind das Gestern langsam verweht. Wo alles funkelt: die Sonne beim Auf- und Untergehen und alle Sterne. Erntgi ist wieder zuhause. Sieht sich satt und liebt und liebt und liebt. Jede Muschel, jede Welle, jede Wolke am Endlos-Himmel, das Gelb der Heuballen auf den Feldern, den feuchten Waldboden unter den nackten Füßen, das Lokalradio – und diese irre Geruchsmischung aus Räucherfisch, Butterkeks und Sonnenmilch. Das gibt’s wohl nur hier. Zuhause.

Alles in Istanbul.

July 6th, 2010


Erntge kannte mal einen Limerick; da ging’s um einen der sich fragte, ob er das zänkische Weib Xanthippe besser in den Bosporus stippe. Und das war alles: vage Ahnungen und ein paar alte Geschichten der Lateinlehrerin… fern und wenig konkret. Und jetzt? OHA, alles anders, denn Erntge war in Istanbul! Der Bosporus, meine Damen und Herren! Der lebt. Wellt und heitert munter vor sich hin so zwischen links Europa und rechts Asien und unten Marmara- und oben Schwarzes Meer. Das ist eigentlich ganz schön krass. Und sehr aufregend auf den Fähren in alle Richtungen.

Und dieses Istanbul! Metropole auf zwei Kontinenten, aktuell Kulturhauptstadt und hinter Mumbai bevölkerungsreichste Stadt der Welt. Istanbuls Geschichte reicht bis in die Antike, ist griechisch, römisch, osmanisch, türkisch. Diese Stadt, in der es mehr Viertel als Minarette gibt, ist riesig und voller Gegensätze. Man findet alles in Istanbul: Protz, Prunk und Pomp natürlich. Mehr Dreck, Lärm und Chaos. Wolkenkratzer gibt es und eine sterile Metro und Wasser und Berge und Armut. Wie im Rausch klappert’s sich durch den Teerverkehr, in Taxis und in Dolmuş’ und immer geht alles ganz schnell und mit Huperei. Busfahren ist sehr schwer. Dafür gibt es jede Menge Temperatur. Der Englischschlüssel ist kein generaler! So viel Leben und Input: unbedingt hin da und wegfegen lassen!

Der Bosporus verbindet das Marmarameer mit dem Schwarzen Meer zwischen Europa und Kleinasien. Er ist ungefähr 30km lang. Zwei große Brücken führen drüber. Eine Bootstour drauf ist super, kostet 20TL und verspricht Wind umme Nase und bronze Haut. Kurz vorm Schwarzen Meer (A. Kavagi) kann man die Reste einer Burg erklimmen und diesen tollen Ausblick genießen. Bier trinkt man denn zum Beispiel da:


Es staunt sich nicht schlecht in der Hagia Sophia, dem letzten großen Bauwerk der Spätantike: die Hauptkirche des byzantinischen Reiches von höchster Bedeutung für die orthodoxe Christenheit wurde mit der Eroberung Konstantinopels (1453) zur osmanischen Hauptmoschee. Heute ist die Hagia Sophia ein Museum, in dem man die gesamte Geschichte des Bauwerks sehen kann: viele muslimische Elemente wurden erhalten und einige christliche Elemente wieder freigelegt.

Nummer Eins auf der Todo List jedes Touristen ist der Topkapı-Palast: hier haben die Sultane zu Zeiten des osmanischen Reiches gewohnt, gewaltet und gepoppt. Im Harem, is klar. Auf dem Foto überlegt sich ein gealterter Tourist bestimmt grad, wie es sich damals hier so als Sultan gelebt haben muss mit dieser beispiellosen Panorama-Aussicht auf den Bosporus auf 69 Hektar so mit bis zu 5000 Leuten. Oder?

Das mit dem Harem ist ja irgendwie total spannend! Hier lebten also die Frauen der Sutane. Die Sultanmutti, die osmanischen Prinzessinnen, die Hauptfrauen, die Konkubinen, die Haremsdienerinnen, -schülerinnen und -sklavinnen. Am meisten Einfluss hatte natürlich Mutti, wie überall, sie übte zusammen mit Lieblingsfrauen vor allem im 16. und 17. Jahrhundert entscheidenden Einfluss aus. Die Kinder des Sultans wohnten übrigens auch im Harem und im Kamin eines Kinderzimmers kann man noch schwach die Logos der damaligen Fußballclubs sehen. Wenn eine Haremsbewohnerin auf dem Rücken lag, hatte sie eigentlich ne ganz gute Aussicht, könnte man meinen:

Überall in Istanbul rennen wild Katzen und Hunde rum. Auch vor den Wolkenkratzern oder auf dem Unicampus. Die tun nix und pennen die ganze Zeit. Mitten im Weg. Manche sehen echt mitgenommen aus, zerfetzt. Andere sind mopsfidel und reproduzieren sich heiter. Gebellt wird selten, gegen den Straßenverkehr zieht selbst der Bär unter den Hunden (!) oder der Tiger unter den Katzen den Schwanz ein.

Und irgendwie isses dann aber auch wie in Kreuzberg. Backgammon spielen, Shisha rauchen, Kaffee trinken und Arbeit nich so ernst nehmen.

Präsens = Zukunft.

June 27th, 2010

Du nimm das Fahrrad, der Toaster is leider schon weg. Hier Aktendullis nä! Immer gern genommen. Klar is der geil, der Staubsauger. Aber schon wem versprochen. Das Ikea-Dings mit Anweisung zum wieder Auseinanderschrauben geb ich dir am besten auch gleich mit, man weiß ja nie. Türkisch? Nee, kann ich noch nich, aber ich kenn ein, der kann bis zehn zählen. Äh, merhaba oder so? Mhm. Ja nee Telefon is abgestellt jetz. Aber email kannste immer. WG ja. Wedding. Prekariat und so, kennste ja. Na morgen abend nochma zum Trotzkisten penn und denn endlich ab die Post. Istanbul! Jahaa! Iiiiiii-Stannn-Buuu-Huul!! Geilomat. Hui, hier wärmegewitterts übrigens gleich, noch kein Regen aber es grummelt schon. Mit Pauken und Trompeten bitte.

Doppelknoten in der Warteschleife.

June 15th, 2010

Der Zeiger zeigt die Zeit. Ticktack noch 14 Tage. Ganz ruhig ist es plötzlich geworden und alles in Erntges Händen ist Abschied. Nix ist schlimmer als Abschiede, die sich ziehen. Will jetzt gern aufstehen und gehen, bleibt aber sitzen und sühlt sich und wühlt sich und beguckt Töpfe, Regenschirme und den ewig-unverzicht-personal-kleinkram. Soll das mit? Weg? Kann man das digitalisieren? Da ist ein Stern auf der Musikanlage, links oben neben dem Markennamen. Der fällt Erntge erst jetzt auf. Die Anlage gabs damals statt Jugendweihe. Weiß sie alles noch. Verdammte Quälerei, Erntge hängt fest in der Warteschleife! Wie haut man der Zeit die Zähne raus?

Kater beißt Ernt. (Aua.)

June 13th, 2010

Du stinkst Erntge. Fahne haste auch noch. Trink ma den Kaffee hier.
(…)
Achso? Mit deim Besuch oder was?
(…)
Ah, verstehe.
(…)
Du??? Auf der Autobahn? Krass, ich dacht du hättst gar kein Schein.
(…)
Nantes-Rennes, das doch auch n gutes Stück so.
(…)
Glaub ich.
(…)
Hihi, das doch der verrückte Spanier von dem du immer erzählst.
(…)
Ja na klar, steht dir aber voll gut, der Hut. Den kannste ja jetz immer tragen.
(…)
Im Garten?
(…)
Wie süß. Und von denen haste auch die vielen Kratzer aufm Arm? Ja, auch Tierliebe kann weh tun.
(…)
Wie jetz, alle nackich rin da oder was? Und der Spanier?
(…)
Krass, hätt ich nich gedacht, ich dacht das wär son Schnacker.
(…)
Klingt auf jeden Fall richtig geil. Is auch Sommer jetz, ne?
(…)
Ach aufm Bauernhof? Mit Scheune und alles?
(…)
Ein Schwein???
(…)
Na toll, ich dacht Du hättst aufgehört.
(…)
Na bei den Rotweinmassen wundert mich das aber auch nich.
(…)
Haha, und denn habt ihr noch ma aufgedreht, ne? Schön volle Kanne rein ins Mikro und Klausi hat den Tonmeister gemacht? Wie und hat sich keiner beschwert?
(…)
Und „Alle Vögel sind schon da“? Und Schlager auch?
(…)
Wie, zu viert dann im Zelt?
(…)
Krass, na wenigstens haste gleich ne Bahn gekricht.
(…)
Und die andern trampen?
(…)
Ah. Na Erntgi, klingt doch spitze. Geh ma penn oder duschen. Geht ja gleich weiter mit feiern heut abend.
(…)
Jau, bis nachher!

Zoo international.

June 5th, 2010


Vielleicht bin ich nicht gemacht für die 40-Stunden-Woche. Ganz sicher bin ich nicht gemacht für die 40-Stunden-Woche in Paris.

Bereits vor den Toren der Stadt bekommt jeder Besucher obligatorisch ein oberirdisches Brüllgefährt zugeteilt (Brüllmoped, Stinkelaster, Sirenenfeuerwehr, Furzbus), das einen dann den gesamten Aufenthalt lang bei allen Zufußgängen durch die Stadt begleitet, also vor allem direkt nebenan stinkt und brüllt. Das ist ein kostenloser Service der Stadt Paris, da sind alle mächtig stolz drauf und insbesondere die Touristen nehmen mit, was sie kriegen können. Mit Brüllgefährterwerb gibt es außerdem einen Bon für 0,2% Rabatt auf Lungenaustausch nach dem Parisaufenthalt. Einlösbar in diversen Schönheitskliniken in der Schweiz und den Niederlanden.

Durch Hupterror, Ruß- und Abgaswahn, Hetzerei und Qietschetram muss wer zur Metro will. (Muss.) Der Brüllgefährtservice gilt hier nicht. Dafür hält der Metrotransport ein anderes frisches Angebot bereit: Reizüberflutung und Grenzerfahrung.

Vor der Metro: alle Farben, alle Gerüche, alle Temperaturen, Luft die steht, Luft die zieht, alle Zahlen, alle Buchstaben, jeweils in allen Kombinationen, alles. Werbung.

In der Metro: Tiere. Die brüllen, zittern, balzen, fressen, pissen, scheißen, schlafen, kotzen und lecken ihre Wunden. Im Dreck. Ihr stumpfes oder glänzendes Fell, je nachdem was sie fressen: Pedigree oder andere Tiere. Eingepfercht quillen Fleischwülste aus Krallenschuhen, klebrig-triefende Haare hängen ab, Grunzen und Schnattern und Verwesung. In Paris brüllen die Maschinen, die Tiere sind stumm geworden, ihre Triebe – schon lange wegtherapiert von anderen Tieren. Die Weibchen, die noch hoffen, übertreiben mit Riemchen, Schleifchen, Pünktchen, übertünchten Gesichtern. Der Geruch, den sie ausstoßen, ist unerträglich und macht alle anderen Tiere aggressiv.

Wer eine Pause braucht vom Zoo international, (es soll schon vorgekommen sein, dass bei Touristen, vor allem aus der Provinz, Anpassungsprobleme an den Rhythmus der Stadt aufgetreten sind), kann sich an ausgewählten Orten der Stadt in eines der reizenden Relax-Center begeben. Für 4500€ kann man in einer kleinen Zelle stehend sieben Minuten lang eine Entspannungsmusik hören. In Endlosschleife läuft dort Deep Purples „Child in time“. In der Live-Version, versteht sich.

Der Trotzkist und das Antibiotikum.

May 29th, 2010

Es war einmal ein Trotzkist. Der trug immer rote T-Shirts und Ringelsocken, ging gern klettern und eines Tages lud er Erntge zu sich nach Paris ein. Das traf sich sehr gut, denn Erntge hatte dort eine kleine Arbeit gefunden, aber noch keinen Schlafplatz. Erntge klatschte also in die Hände und fuhr in die große Stadt.

Der Trotzkist hatte sehr lange Arme, die er weit öffnete: er gab Erntge einen Schlüssel, zeigte ihr ihren Schlafplatz und kochte fein. Er tippte stumm auf die eigens gekauften Blumen, als ihm Erntge vom grausamen Morgen erzählte, als sich jemand um 5 Uhr vor ihren Zug geschmissen hatte. Der Trotzkist war sehr lieb zu Erntge und beschwerte sich auch niemals über die von ihr kreplig gedrehten Zigaretten. Mit seiner schönen France-Inter-Stimme redete er viel und am liebsten über Kommunismus, die Revolution und la lutte ouvrière. Seine Kumpels hießen alle Genossen. Und Erntge hörte zu und fragte viel und merkte aber, wie sie immer mehr Fragen hatte, so länger sie sprachen.

Der Trotzkist war geduldig und wurde nicht müde, Erntge zu erklären, dass es keine Revolution von oben geben kann und er sie deshalb von unten vorbereiten würde. Und dass, wenn die Unzufriedenheit der Leute irgendwann groß genug sein würde, wenn sie endlich für den Umbruch bereit sein würden, dass er und seine Genossen genau dann zur Stelle wären. An diesem Tag. Und deshalb hätte er auch keine Zeit für Familie oder so, er müsse Politik machen! Erntge dachte viele Dinge, die sie aber nicht sagte und drehte dem Trotzkisten noch eine kreplige Kippe. Sie fand, dass der Trotzkist sehr müde aussah.

Dann holte sich Erntge in der Pariser-Stinkemetro Bakterien in den Fuß und ließ sich von der Apothekerin beschimpfen, sie müsse sofort zum Arzt. Der Arzt schimpfte weiter und schüttelte Erntge, sie hätte viel früher kommen müssen. Wie angeschwollen ihr Fuß schon sei! Erntge nickte schuldbewusst und sah ein, dass was passieren müsse, es tat ja auch sehr weh irgendwie.

Und abends dann, beim Essen mit Freunden, als die Herzdame so schön lächelte und der Trotzkist wieder von der Revolution erzählte und auch ein Cineast anwesend war und eine Mutti gähnte, als ihr Ältester einbeinig um den Tisch sprang und als der Intellektuelle seine Sammlung von Ausgaben des Kommunistischen Manifests präsentierte, darunter auch eine verstörende illustrierte Porno-Version, da wurde Erntge ganz kurz ganz klar, welche Parallele zwischen dem Trotzkisten und dem Antibiotikum bestand, das sich just in dem Moment den Weg durch ihr Blut bahnte und ihr Fieber senkte.

Wie Kloßbrühe. Mindestens.

May 24th, 2010

Einen Strandtag und eine Paddeltour später ist klar: hier ist jetzt Sommer. Sandaletten, nackige Franzosen, Sonnencreme und Eis gibs all day long und das gehört sich ja auch so. Welch Wonnewetter im Wonnemonat.

Bonsoir François.

May 22nd, 2010

“Ich weiß nicht was der “Agenda 2010” ist. Vielleicht ist es des Programmes den Grünen für 2010. Es handelt sich um einen ecologische Programme, wo man Ideen über den Umwelt lesen kann. Oder es ist vielleicht ein Agenda mit verscheidene Treffpünkte für Leute, die Kunst mögen (Kino, Museen,…) Oder der Programme von Angela Merkel (CDU-CSU)? Es gibt viele Möglichkeiten. Ich höffe, dass ich Glück haben werde. Aber am meistens habe ich Pech…”

“Die Leuten haben deswegen gestreit, weil es unmöglich mit 350€ pro Monat leben, aber manchmal ist es auch unmöglich ein Arbeit zu finden und kein Langzeitarbeitslos zu sein.”

Leider kennt sich François auch in seiner eigenen Sprache nicht so gut aus: “Pendant la réunification allemande (7 et 9 mai 1990), Helmut Kohl (premier Chancelier de l’Allemagne) a changé le Bismark (!) de l’Est Land par Land pour le changer en Mark ce qui a été une vrai catastrophe économique pour l’Est.”