Aus der Ein- wird Zwei-heit in Deurali. Zum Glück nur für ganz kurz. Auf 3200m Höhe und bei knackigen 11°C machen nämlich plötzlich Teile unserer Lungen schlapp und erstmals stellt sich die Frage nach dem eigentlichen Ziel unserer Wanderei. Das eine will unbedingt hoch zum Annapurna Base Camp, das andere ist an seiner Grenze angelangt und erschrickt. Beide Verstände sehen klar, nur ein Herz schafft es noch nicht durch die feuchtneblige Wolkenwand. Wir versuchen also akademisch Pro- und Kontralisten und malen das Dilemma auf Papier. Wir machen das ordentlich. Unsere gefalteten Stirnen verscheuchen dabei die anderen Trekkerinnen, die ihre immergleichen Fragen vorsichtshalber in den Taschen lassen. Es regnet und regnet und nachts schreit jemand im Nebenzimmer. Deurali ist so unerträglich, dass sich selbst die Mäuse Rucksacktaxis suchen: weg hier! Endlich wissen wir bescheid.
Archive for the ‘nepal.’ Category
Das Deurali Dilemma.
Saturday, May 21st, 2016Dieses Chomrong, ey.
Thursday, May 19th, 2016
Vor Chomrong hatte man uns gewarnt. Eine Millionen Stufen hoch, dann die Verheißung einer echten Espressomaschine in der german bakery, dann eine Millionen Stufen wieder runter. Und so ist es dann auch. Bei 35 Grad. Wegen Stromausfall gibs leider keinen Espresso. Wir trinken also mürrisch wieder schwarzes Wasser mit einer Idee von Kaffeegeschmack. Was die Treppen betrifft, gibt es zwei Strategien. Die erste: zum Packesel werden und unbeirrt ein langsames Tempo durchhalten, so nach dem Motto: Augen zu und durch. (bistare, bistare = langsam, langsam.) Die zweite: alle Muskeln anspannen, Lunge festzurren und 15 Stufen nehmen, dann 30 Sekunden Pause. Beides tut irgendwie weh und wir machen bereits mittags Schluss damit. In der Lodge stinkt es nach Muff, dafür gibts die leckersten Makkaroni der Welt!
Jhinu Danda (Hot Springs).
Wednesday, May 18th, 2016Ha! Pausentag! 9 Stunden wandern, 10 Stunden schlafen… wir brauchen eine Auszeit. Für Wunden lecken, Wäsche waschen und Muskeln in die heißen Quellen halten. Außerdem gilt es, diesen halsbrecherischen Pass vom Vortag zu verdauen, das ging mit Belohnungs-Snickers ganz gut. Beim Abendbrot setzt sich der Bonzen-Inder zu uns. Der zeigt uns 1 Millionen Fotos von der Hochzeit seines Sohnes. 2000 Gäste, 250.000$. Die Braut trug 2,5 Kilo Gold um den Hals. Wir nicken ab und verpacken unsere Meinung dazu in Fragen. Der Bonzen-Inder sagt: „Du bist jetzt, was du in deinem früheren Leben getan hast. Wenn Leute heute krepieren, sollten die sich fragen, was sie im Leben vorher falsch gemacht haben.“ Wir geben zu, dass Indien uns Angst macht und dass wir heiraten bescheuert finden.
New Bridge.
Monday, May 16th, 2016
1. Blutegel
2. Knie
3. Pickel
4. Nervenzusammenbruch
5. Regengüsse
6. Hängebrücke, rutschig
7. Scheißheiß
8. KEIN MITTAG! Bloß paar Nüsse und ein Keks.
9. Pleite. Ach nee, doch nicht.
Pothana.
Sunday, May 15th, 2016
Das Taxi fährt uns nach Phedi und es geht direkt los. Im Reiseführer stand es ja eigentlich: „schweißtreibender Aufstieg bis Dhampus“… wir sind trotzdem schockiert. Mit jeder meterhohen Stufe mehren sich die Zweifel: packen wir das überhaupt? Ist das nicht ‘ne Nummer zu groß für uns? Sind unsere Rucksäcke nicht viel zu schwer? Regnet es etwa die ganze Zeit? Auch die Porter der anderen lachen. Mit puterroten Köpfen und wildem Herzklappern erreichen wir schließlich Dhampus und werden belohnt. Mit Endorphinstürmen und einem wunderbaren Wanderweg durch Maisfelder, an den Steinhäusern der locals vorbei, zahlreiche liebe Menschen kreuzen unseren Weg. Sie schwärmen von der Wanderei, zeigen ihre Blutegelwunden und bestärken uns, dass wir etwas Großartiges vorhaben! Und so viel Zeit dafür. Yeah! Wir schaffen es an diesem Tag sogar bis Pothana, liegen dann stolz wie Bolle (770 Höhenmeter!) in der ersten Lodge und glotzen in die Wolke, die sich so freundlich durch die offene Tür schiebt.
Pokhara.
Saturday, May 14th, 2016
Wir sind unterwegs. Lassen die neuen Freunde und ihre Sorgen hinter uns und finden es schön, wieder selbst zu entscheiden: wohin wir gehen, ob und was wir essen, wo wir schlafen. Alles, was wir brauchen, steckt in den Rucksäcken (viel zu schwer!) und die schleppen wir zunächst nach Pokhara. Raus aus der Smoghölle, hinein in sattes Grün. Vorne der Phewa-Lake, hinten die Berge… hier gibt es sogar Bürgersteige und Mülleimer! Ein neuer Mikrokosmos ist dieses Lakeside. Es ist wahnsinnig touristisch. Links spielen die Nepali-Boys Volleyball, rechts probt eine Band Bon Jovi und Bryan Adams. Abends joggen die Leute in teuren Outdoorklamotten am Ufer… üben die für Annapurna? Da wollen wir auch hin!
Vorher wollen wir aber um diesen See. Das Wetter ist herrlich und wir latschen los. Im ersten Dorf haben wir plötzlich einen Hund. Er schwanzwedelt freundlich und hilft uns beim Entdecken. Vielleicht sind wir auch Taxi für ihn, denn alle vierbeinigen Kollegen aus der Nachbarschaft lassen ihn in Ruhe. Wir werden erst nervös, als am Hang die Wasserbüffel auf uns zu galoppieren. Wasserbüffel sind echt riesig und haben echt riesige Hörner. Sie rennen ziemlich schnell (auf Hunde zu und zum Beispiel auf uns, wenn wir einen haben), sie stampfen auch mit den Hufen auf. Also, um es kurz zu machen: wir haben das überlebt. Auf dem Rückweg (man kommt nicht um den ganzen See rum), trösten uns fröhliche kleine Mädels, mit denen wir erzählen. Der Samstag ist der nepalesische Sonntag, da gibt es keine Schule, also sind jede Menge Kids unterwegs und die Alten hängen in den Shops ab oder spielen Spiele, die wir nicht verstehen. Es ist sehr schön.
Wieder in Naikap.
Tuesday, May 10th, 2016
Wir sind wieder in Naikap. Der schönste Moment ist immer morgens gegen 7 im Garten. Dann ist die Luft gut und wir trinken Kaffee und schauen Mohanns erster Frau beim Taubenfüttern zu. Subash meint, es hätte heilende Wirkung, so viele Flügelschläge um sich zu haben. Mit etwas Konzentration fallen auch die Rattenschwänze von den Tauben.
Nach dem Frühstück lernen wir. Wie verlorene Seelen zurückgeholt werden, dass wir keine Fliegen totklatschen dürfen, wie der Kuladeva-Room aufgebaut ist, welche Blumen welchen Chakren zugeordnet sind, was der Stiel an unseren Trommeln bedeutet – und jede Menge Mantras. Zum Beispiel eins gegen Zweifel.
Nach dem Mittag ruhen wir uns erst aus, weil die Köpfe immer so rauchen, und ab 15 Uhr wird getrommelt. Frauen, die menstruieren, dürfen übrigens nicht trommeln. Und nicht bei den Ritualen zugucken. Und nicht in die Tempel. Und nicht in die Altarräume. Und nicht in die Küche. Und sie dürfen überhaupt keine grünen Pflanzen berühren. Pfff. Sie dürfen aber gnatzig auf der Dachterrasse sitzen und lesen. Und wenn sie fertig sind, dürfen sie sich bei den Spirits entschuldigen, duschen und wieder mitspielen. Puh. (Auf Nachfrage regt sich Erntge gern lauthals auf.)
Abends sind wir manchmal bei Rojani, Raju und Subti und glotzen koreanische Cartoons, lernen Französisch, kochen oder lassen uns die Arme mit Henna bemalen. Raju hat das einzige deutsche Auto, das durch Kathmandu fährt: einen Opel Astra. Er hat schon total Angst um uns, weil wir allein in die Berge wollen. Er holt sein Khukuri heraus (das ist ein schweres, gekrümmtes Messer) und fleht uns an, es mitzunehmen. Als wir ihn auslächeln, gibt er auf, schenkt uns aber glücksbringende Kettchen und wir müssen ihm versprechen, sie zu tragen.
Manchmal ist kein Strom und kein Wasser im Gästehaus. Dann müssen wir kompliziert im Familienhaus duschen. Wir fühlen wir uns dann immer ein bisschen eindringlich.
Und manchmal versuchen wir Sightseeing. Das geht aber meistens in die Hose. Zum Pashupatinath (eine der wichtigsten Tempelstätten des Hinduismus, zu der auch sehr viele Menschen aus Indien pilgern), begleitet uns ein sogenannter „Kloster-Experte”. Über die Anlage selbst erzählt er nichts, will uns aber in den für Nicht-Hindus gesperrten Teil der Anlage ziehen (was natürlich nicht klappt) (uuaaahh). Dann macht er solange heimlich und unheimlich Selfies mit uns, dass es uns schließlich reicht. Der Ort ist auch ohne Experten spooky genug: Während links vom Fluss die Leichen verbrannt werden, sitzen rechts vom Fluss die Touris mit ihren Megaobjektiven. Dazu die Hitze… wir sind froh, als wir wieder im Garten sitzen.
So üben wir Abhängen in Nepal. Nichts machen. Es ist ein bisschen anstrengend. Manchmal sind wir schon um 20 Uhr im Bett.
Karthali.
Tuesday, May 3rd, 2016
Wer mit dem Auto nach Karthali fährt, muss an einer bestimmten Stelle durch den Erdrutsch. Es dauert ziemlich lange, bis man ihn durchquert hat und im Jeep herrscht dann eine verstörende Stille. Zwei Dörfer liegen unter diesen Steinen. 600 Menschen wurden hier lebendig begraben. Wir wissen nicht, wie Karthali vor dem Erdbeben ausgesehen hat. Auf uns wirkt es nicht viel anders als die Dörfer, die wir bisher gesehen haben. Zwei Erlebnisse haben sich uns besonders eingeprägt: der Besuch beim Mädchen mit den Zwillingen und der große Regen.
Das Mädchen mit den Zwillingen.
Raju und Rojni laden uns ein: wir sollen die Frau mit den Zwillingen besuchen gehen. Gut. Weil in Karthali grad die Straße verbreitert wird, staubt es enorm, der Dreck ist überall, sogar zwischen den Zähnen. Das Haus, in das wir gehen, steht direkt neben den tobenden Baufahrzeugen. Es besteht aus Blech. Einszwei Hühner gackern uns an. Es ist sehr dreckig, wir würden am liebsten unsere Schuhe anbehalten. Drinnen verschluckt uns sofort die Dunkelheit. Unsere Augen gewöhnen sich nur langsam an den Vorraum, doch je mehr Zeit vergeht, je mehr Details erahnen wir und je flauer wird uns der Magen. Der meiste Dreck im Haus ist undefinierbar. Ist das Nahrung, Verdautes oder Nachgeburt? Unsere Freunde bitten uns, doch weiterzugehen. Widerwillig betreten wir das Schlafzimmer. Wir sehen unter einem Berg von Decken ein junges Mädchen liegen. In ihren Armen die Zwillinge, die erst 2 oder 3 Tage alt sind. Für einen Moment steht die Zeit still. Raju fragt, ob wir nicht ein Foto machen wollen. Wir wollen nicht. Wir können nicht. Wir können gar nix in diesem Moment. Das Mädchen ist 18 Jahre alt, der Vater dazu 17 und weg. Sie hat die Zwillinge nach der Arbeit auf der Straße geboren. Benommen verlassen wir schießlich das Zimmer. Die Sonne draußen piekt uns in beide Augen.
Der große Regen.
Eines Abends ist die Stimmung sehr besonders. Alle sind irgendwie aufgeregt. Raju erlaubt sogar, dass ich (!) den Reis koche. Und dann kommt’s. Dann geht’s auf einmal los. ES REGNET! Es sturzbacht und tost nur so los. Niemanden hält es drinnen: alle stehen draußen und jubeln, klopfen sich auf die Schultern, rauchen. Als es auch noch anfängt zu donnern und zu blitzen, fällt alle Anspannung und Sorge endgültig von den Schultern der Nepali. Auf diesen Regen haben alle sehnsüchtig gewartet, die Ernte scheint nach der langen Trockenheit gerettet. Und auch wir denken an die krepligen Kartoffelpflanzen in Photeng und freuen uns, sind erleichtert. Das Kochen entwickelt sich im Gewitter zur Party, welch kostbarer Moment!
Einen Film mit Stimmen aus dem Epizentrum des Erdbebens gibt es hier (produziert von Mother Earth Project).
Dhrumthali.
Sunday, May 1st, 2016
Dawa hat uns in sein Haus eingeladen. Als Hauptschamane der Gegend, hält er einmal im Jahr ein ganztägiges Kuladeva-Ritual ab (Ehrung der Ahnengeister), zu dem alle Dorfbewohner kommen. Wir freuen uns über die Einladung und sind gespannt, wie er wohnt. Als wir um 11 Uhr ankommen, ist die Party bereits in vollem Gange: Dawa hat sich herausgeputzt und trommelt schon. Die anderen Schamanen unterstützen ihn, denn Dawa muss bis zum Abend durchhalten. Sein altes Haus hat das Erdbeben verschluckt, in seinem neuen ist der Boden aus Lehm und die Wände und das Dach sind aus Wellblech. (Seit dem Beben meiden die meisten Nepali Steine.) Wir nehmen hinten im Raum auf einem Podest Platz, das mit Teppich überzogen ist. Von hier aus haben wir einen guten Ausblick auf das ständige Kommen und Gehen. Sechs Stunden später kennen wir alle Dorfbewohner und die Dorfälteste versorgt uns mit selbstgedrehten Bidis. Wir genießen den Trubel, beantworten alle Fragen und lächeln den neugierigen Blicken zu. Als dann aber die Ziege zum Altar geführt wird mit ängstlichem Blick, klinken wir uns aus.
Morgens erwachen wir bei der Nachbarin in einer Wellblechhütte ohne Fenster. Der Rauch ihres Teefeuers schiebt sich durch die Ritzen in unsere Schlafsäcke. Zwei Mädchen kichern. Alles Gewohnte ist hier Abenteuer: wo Zähne putzen? Kein Klopapier. Darf ich mein Taschentuch ins Feuer werfen? Zum Frühstück gibt es Nudelsuppe. Neben der Kochstelle liegt ein Ziegenkopf, durch den ein Stock von Ohr zu Ohr geschoben wurde. Wir werden feierlich verabschiedet mit weißen Tüchern und gute Reisewünschen und alle wirken so verrückt beglückt. Gruppenfoto noch und schon sind wir wieder weg. Im nächsten Abenteuer.
Funeral.
Thursday, April 28th, 2016
Alle Dorfbewohner sind schon da. Die Männer machen das Holz fertig, die Frauen nehmen die Opfergaben entgegen. Geopfert wird heute Bier, Schnaps, Limo und Reis. Alle unterhalten sich und es wird gelacht. Wir dagegen trauen uns kaum zu atmen, weil wir so durchgeschüttelt sind vor Angst, Neugier und Scham. Das mit dem im-Hintergrund-Halten klappt natürlich kein Stück, weil wir so auffallen.
Die Verbrennung selbst ist dann erstaunlich unaufgeregt. Der Leichnam ist in Tücher gehüllt und wird verbrannt. Der Lama führt die Trauergemeinde mehrere Runden lang um das Feuer und murmelt dabei. Währenddessen und danach trinken alle Schnaps und zwei Männer pusten in zwei tibetische Langhörner.
Das Drumherum ist furchtbar aufschlussreich. Die zerzausten Kinder heben vor unseren Augen die Dritte Welt aus ihrem theoretischen Rahmen, nackt liegt sie da und wird für uns zum ersten Mal konkrete Erfahrung. Der Mangel an Hygiene und Bildung ist allgegenwärtig. Die Armut der Leute nimmt uns den Atem. Wir kommen uns armselig vor und brauchen für den Rückweg dreimal so lange.