La vida es un perro.

„Den kannste vergessen.” Zylinderella winkte ab und konzentrierte sich wieder auf die Nagelschere. Seit das Blut aus Albanos Arsch geströmt war, hatte sie sich schuldig gefühlt und sehnte sich nach einer Art Opfergabe. Es war so lächerlich. Binoche würgte. Weil Keratinplättchen bedingungslos – sozusagen natürlich – nachwachsen, war Zylinderellas Opfer an sich keins, wegen der unregelmäßig knackenden Töne war es jedoch akustisch wahrnehmbar (also wahr) und hinterließ Spuren, nämlich anthrazitfarbene Nagelklumpen auf dem Teppich. Ein Nagel schepperte direkt neben Binoches Teetasse. Ihr Mundwinkel zuckte kurz. Binoche verspürte in einem Anflug von Ekel eine Art inneren Imperativ hämmern, der ihr wie mechanisch einflüsterte: „Geh. Geh.“ Fröstelnd suchte Binoche Halt unter der Decke und starrte wieder nach draußen.

Vor dem Fenster dasselbe Trauerspiel. Herbst ist Tod. Die verwesenden Blätter kündigten ihn bereits seit Wochen an. Sie waren erstaunlich zahlreich geworden und hatten dem ganzen Viertel diesen modernden Geruch aufgedrückt, der Binoche jeden Morgen die Tränen in die Augen schoss. Auf dem Spielplatz zwischen den grauen Berliner Altbauten klapperte seit Stunden wieder der einsame Hund. Braun war er und mager. Sein Fell war stumpf, lädiert, zerbrochen. Der arme Kerl drehte sich im Kreis und biss sich dabei in den Schwanz. Immer wieder. Das ging seit Monaten so. Die Kinder aus der Nachbarschaft hatten ihm weitsichtig eine Wasserschüssel bereitgestellt, sogar Watte in den Herbstblätterhaufen, der seine Schlafstätte war, gelegt, auf dass er sich seine Wunden wenigstens hygienisch lecke. Es ist nicht klar, ob der arme Kerl sich dieser lieb gemeinten Leichtgläubigkeiten auch bediente. Die Laterne am Spielplatz war seit zwei Wochen durch einen Fußball außer Gefecht gesetzt worden und ab 18 Uhr sah niemand im Kiez mehr die eigene Hand vor Augen. Tagsüber versuchten alle, den Hund und sein makaberes Spiel zu ignorieren.

„Es ist aber auch ein Elend mit ihm“, seufzte Binoche. Ihr tat der Hund so schrecklich leid. Die Strapaze des ewigen Imkreisrennens war dem Hund anzusehen. Alle Minuten taumelte er und biss sich dann aus Wut über die eigene Hilflosigkeit in den Schwanz. Weil sich die Pfützen auf dem Spielplatz inzwischen blutrot gefärbt hatten, zogen die türkischen Muttis ihre Gören immer öfter fort von Wippen und Klettergerüsten. So hatte der Hund sein Areal gewonnen, ohne es verteidigen zu müssen. Verteidigen… als ob er dazu im Stande gewesen wäre, so beschränkt wie er immer nur sich selbst verletzte. Binoche hatte die Nachbarskinder beobachtet. Wie sie am Dienstag Nachmittag versucht hatten, den Hund zu retten, wie sie ihn liebhaben und von der Selbstzerstörung abhalten wollten. Sie hatten Tischtennisbälle, einen Hühnerknochen, sogar eine Babypuppe angeschleppt und in sicherem Abstand dem Hund angeboten. Der Hund hatte innegehalten, die Sachen beschnuppert, die Babypuppe kurz beleckt und sich dann auf die Hinterpfoten gesetzt. Als würde er sich Zeit nehmen, die Argumente der Kinder anzuhören. Die Kinder aber – was konnten sie ihm schon bieten: Wasser, Laub, Watte und jedes wollte ihn natürlich streicheln! Kein Wunder, dass der Hund bald bellte und sie verjagte.

Zylinderella, inzwischen zur Parfümwolke geworden, stand auf: „Puppi, nu mach Dir nicht son Kopp, is nur ne Töle.“ Binoche verließ bei solchen Worten immer kurz der Lebensmut. Warum nur war sie eigentlich mit dieser Person zusammengezogen? „Ich geh jetz zu Albano, kommst mit? Wir feiern da Jessicas Abschied, die geht doch jetzt nach Ecuador!“ Binoche schloss kurz die Augen. Sie hatte jetzt keine Kraft für Geschichten: „Nee, lass ma. Ich krieg noch n Anruf.“ Zylinderella zwitscherte aus dem Wohnzimmer und bald darauf klappte die Wohnungstür. Im Halbdunkeln zündete sich Binoche was an und sah in den düsteren Nachmittag. „Ecuador“, echote sie und lachte.

2 Responses to “La vida es un perro.”

  1. krongold says:

    erntge, seit wann postest du en espanol?! hab ick verstanden, wa! Is der Eintrag ein auszug aus ner kurzgeschichte?!oder “Meta Ware”?!oder selbst erlebt verarbeites?!#
    Wie stehts mit den sitestats, war ja letztens gerührt, da über 100 Aufrufe,…toll, sehn und hörn uns via netz
    Grüzi der RON

  2. erntge says:

    hallo krongold! schön, dass du dich hier mal blicken lässt. (du verbringst viel zeit vor der kiste, wie?) die geschichte hat sich mir abgewrungen letztens, da war es genau so. kann ja nich immer party sein, wie gestern bei mirco (!), da gabs kurz vor schluss einen mann mit zylinder und der hat uns ganz schön weggeschmissen mit seinem wachsenden teleskop-arm. und natürlich verstehst du den titel der geschichte, brauchste nämlich gar nich in kolumbien für wohn, is nämlich wizo. kssss.

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