Zebra, Esel & Zesel.

April 12th, 2016

zebras

Kann sein, dass es der luxuriöseste Zustand von allen ist. Morgens ist jetzt später. Und immer mit Musik und Buchstaben und die einzige Anstrengung besteht darin, sich klarzumachen, dass tatsächlich kein Termin im Nacken hängt und dass das gut ist.

Und mittags ist jetzt noch keinen Hunger haben und Leute treffen. Erntge trifft wieder zufällig Leute auf der Straße! Die haben jetzt alle noch mehr Kinder und/oder geheiratet und/oder kaufen Häuser. Da geht man einmal arbeiten, ey… naja. Nachmittags ist entweder Weltgeschehen oder penn und abends ist immer am schönsten, weil doch die anderen so früh schlafen gehen und Erntgi dann die Nacht mit ihrer Stille für sich hat.

Sabbat ist hervorragend! Erntge kommt endlich wieder zu sich. Und zu Erntge kommt wieder die Polizei an Samstagen. Das war lange nicht und geht noch so bis Montag. Dann wird alles ganz anders. Alles. Ganz. Anders.

Übrigens: Das Zebra ist das größte Wildpferd. Der Esel ist ein Lastentier. Die Streifen des Zebrafells sind schön schwarz-weiß: das vermittelt Klarheit, Kontrast und ermuntert zu eindeutigen Entscheidungen. Beim Esel variieren die Fellfärbungen vage (grau, graubraun, rötlich) und bei den Bremer Stadtmusikanten stellen sich alle anderen Tiere auf den drauf. Zesel gibt es auch. Die heißen Zebroide.

Schnall ab!

April 3rd, 2016

gürtel
Der Fachmann erklärt Erntgo die Nähmaschine: … hier Gas, rückwärts, Faden oben Faden unten, nee, nich so schnell. Erntges erstes Nähstück ist kein Seidentaschentuch, sondern ein ausrangierter Feuerwehrschlauch. Daraus wird im Handumdrehen ein schnieker Gürtel. Wegen der ewigen Flüchtigkeit und weil wir unser Herz nicht an Material hängen wollen und weil wir überhaupt alle Trophäensammelungen hassen: wird der sofort verschenkt. An den Feuerwehrmann natürlich.

Sie ist wieder da!

March 22nd, 2016

canard

Ein liebenswertes Meerestier hat sich ein Jojo aus Erntges Nervensträngen gebaut und übt fleißig für die Weltmeisterschaft. Geht’s runter, mulmt es bei Erntge, geht’s hoch, is geil. Ganz hoch ging’s letztens beim Blick in den Briefkasten. Steckte da doch ein riesendickbuntes Frohbuch drin! Yeah! Erntges heimliche Liebe, Camille Jourdy, hat nämlich wieder eins gemalt und geschrieben und das ist jetzt draußen und Erntge hätte ma wieder nix mitbekommen!

Nach der granatenmäßigen Rosalie Blum zeichnet Camille weiter Frauen. (Viele dicke, wenige dünne, die meisten mit Dachschaden.) Juliette soll die Protagonistin sein, sie ist jedenfalls ganz groß vorn auf dem Cover zu sehen. Aber Pustekuchen! Sie verschwindet fast im Buch vor lauter Graumaustum. Versteckt sich so hinter ihren Ängsten und Hemmungen und kommt auch am Ende nicht aus sich heraus. (Eine Erklärung gibt es natürlich dafür, wird am Ende auch alles fein säuberlich aufgelöst… trotzdem, Erntge kann einfach nix Spannendes an dieser Juliette finden.)

Zum Glück schillert’s an vielen anderen Ecken des Buches und manchmal auch mittendrin. Da ist Juliettes Schwester – eine Powerfrau par excellence: stark, schön, die packt an. Die hat ihre Familie, alles im Griff, die kümmert sich. Und ganz für sich allein hält sie sich ihr kleines süßes Geheimnis – den Typen aus dem Kostümverleih. Vielleicht sind das sogar Erntges liebste Szenen im Buch: Erwachsene, die Quatsch auf dem Rasen machen. Daneben Juliettes Eltern, einige Gestalten aus der Bar du coin und dann noch Polux, so ein siffiger Typ, der sich blöderweise in Juliette verliebt (völlig klar, dass das keinen Sinn macht).

fiche le camp

Ein bisschen fehlt der Punk. Waren bei „Rosalie Blum“ noch so viele grob-beknackte Details, sind die bei „Juliette“ auf die einsame strippende Gartenzwergin auf der allerletzten Seite des Buches reduziert. Schade. Die Zwergin ruft Erntge zu: „Easy, mach dir nix draus, Camille wird grad erwachsen und muss nu diese schweren Familienthemen machen, die braucht auch Kohle und steht unter Kreativzugzwang.“ Okay, nickt Erntge, so wird es sein.

rester comme ça

Camille Jourdy: Les fantômes reviennent au printemps, Actes Sud, 2016

Es klappert im Karton.

March 13th, 2016

blog?
Erntges Kopf ist eine graue Umzugskiste mit gigantischen Ausmaßen. So acht mal zwölf Meter. Mindestens. Das Material ist Hartplaste. Schlecht für die Umwelt, nichts bleibt dran haften und drinnen findet sich kein Mensch zurecht. Eine Eintrittskarte zum angesagten Club der schönen Mütter suchst du zwischen Bananenschalen, Tippexmaus und Spritzbesteck vergebens. Der Rest des Körpers verschlafft so unter dem Gewicht. Und weil Erntge also ständig blind gegen alle Wände donnert, ist Fortbewegen nur sehr eingeschränkt möglich oder sieht affig aus. Beim Silly-walks-Contest an der Bushalte gibt’s Lachkrampf und sofort Muskelkater! Erntge weiß nicht, wie lange das noch so soll. Dreißig Gepäckkilo sind im Flugzeug erlaubt. Wahrscheinlich muss tatsächlich alles mit, damit der meiste Quatsch ganz oben im Himalaya bleiben kann. Okay.

Die goldenen Fehlfarben

February 27th, 2016

peter hein

glauben scheinbar auch nicht mehr an Rock’n’Roll und sind jetzt beige, altrosa und gedeckt dunkel. „Die hätten hier bestuhlen sollen“, denkt Erntge noch und ist bitter. Wo ist das Quietschgelb, das Neongrün, das krasse aggressive Rot? Wieso beißt ihr Peter Hein nicht endlich ins Ohr? Scheuert ihr seine eckigen Töne ins Gesicht? Und diese abgrundtiefen Texte? Das gibt’s doch nicht, eben probiert Enna zum „Club der schönen Mütter“ Walzer tanzen und das klappt auch noch. Kopfschütteln. In Zeitlupe auf einem Zeitlupenkonzert.

Danach wirkt Hein erleichtert, steht überheblich in der provinziellen Nacht und lässt sich herab: „Wut? Nee, Wut ist definitiv vorbei. Jetzt ist alles egal.“ Bitte? Alter! Erntge ist sauer und hakt sich woanders unter. „Würde ist nicht nur Substantiv, sondern auch Konjunktiv, don’t forget.“ Ja man, Erntge versucht’s ja!

Kein Leuchten in den Augen, sondern Schnaps.

February 12th, 2016

kater
Ein Mann in seinem Alter weint nicht. Deswegen wettert er grobkörnig. Kippt soviel Schnaps drauf wie reingeht. Schnaps und Spuckefäden hüllen ihn jetzt beinahe ganz ein. „Egal, Hauptsache angezogen.” Er hört nicht auf.

Als Erntge ihn fragt, was sein Wunsch ist, hält er ganz kurz inne. Würde ihm jetzt jemand „Als ich wie ein Vogel war“ vorspielen, würde er es vielleicht wagen. Es könnte nur so sturzbachen und tosen, eine ganze Überschwemmung könnte über die toten Küchenfliesen brechen. (Erntge hat die Nummer vom Zauberlehrling in der Hosentasche.)

Nein, er wagt nichts. Dass es kein Schatz ist, was er drinnen hortet und so zwanghaft mit neunzehn Schlössern verriegelt, das weiß er nicht. Dass er das alles dringend loswerden sollte, kommt nicht zu ihm durch. „Sonne Geschütze kriste nich im Laden, was das kostet.“ Lallt er sich zurecht und der Moment ist vorbei.

Schafft er vor dem Lichtaus noch einen Blick in den Spiegel, wird er wieder alles falsch verstehen. Das ist kein Leuchten in seinen Augen, das ist Schnaps. Das ist kein Lächeln um seinen Mund, das ist Schnaps. Und seine plötzlich so leichten Glieder, das sind keine Flügel, das ist Schnaps.

Ohne Peinlichkeit und Hass.

January 31st, 2016

erobik
Fast in genau dem Moment, als sich der dicke Monchpunk volltrunken von der Bühne plumpsen lässt, um sich durch das Spalier des Todes, auf dem siffigsten, zigarettenbestummelsten aller Böden zum Tresen zu rollen, um dort Schnaps zu trinken, zurück zu rollen und den nächsten Song zu spielen, fast genau in diesem Moment entdeckt Erntge (an einem ganz anderen Ort) ihr Herz für Schlager. Leute, es gibt ganz hervorragenden Schlager. Der, der die Synthese zwischen eckig und rund schafft und so echt ist, dass alle Kitsch- und Peinlichkeiten verunsichert von dannen ziehen, gemeinsam.
Joy für alle.

Sei heldisch. Ansonsten gibt’s auch viel zu tun.

January 16th, 2016

einer
Erntge hat dieses Buch in der Hand. Kann sein, dass es perfekt in diesen Düsterjanuar passt. Auf jeden Fall zu den stillen Momenten eben jenes. Und? Ja! Alles. Es geht um alles. Gestern, morgen, heute. Vorgestern auch. Das versucht der Autor Saša Stanišić natürlich bescheiden zu vertuschen, indem er Handlung und Ort auf eine einzige Nacht begrenzt. Und auf ganz wenige Figuren wie Herrn Schramm, der mehr Gründe gegen das Leben findet als gegen das Rauchen. Und diese Nacht ist voller mildwilder Bilder und voll von Sätzen, die sich in Erntges ausgeleiertes Synapsenfeld tackern. Wunderbar. Wie klug der Saša das gemacht hat! Diese dürftigen, dorfigen Sätze kennt Erntge alle irgendwie von fern. Wie freudlos, leer und karg sie sind. Was sie alles verschweigen. Lupe und Taschenlampen liegen bereit für Saša Stanišićs „Vor dem Fest“ (Luchterhand, 2014).

Das Zwischenhaus.

January 3rd, 2016

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Das Zwischenhaus liegt hinter der Nebelwand. Um es zu erreichen, brauchst du Mut und jemanden, der schon mal da war. Alle Krähen wettern zur Begrüßung vom Geäst.

Hinten im Garten sind Wildschweine vergraben. Ihre toten Schädel mahnen über aufgetürmten Steinen. Vor dem Haus fängt ein friedliches Feuer alle Töne und Rhythmen ein und schenkt sie der Nacht.

Nachts siehst du keine einzige Hand vor Augen, so dunkel ist es im Zwischenhaus. Hoher Besuch betritt dann den Raum. Eine schwarze Katze klagt oder schimpft, vorwurfsvoll und laut – und ist schon fort, bevor du richtig wach bist und dich wunderst.

Wer das Zwischenhaus betritt, erliegt sofort seinem Charme. Hier sprechen alle bedacht. Hier setzt sich eine Hexe mit an den Tisch, schaut in dich rein und sagt dir was sie sieht. Hier fallen Haare und still wächst ein tiefes Band. Die Krafttiere, die das Haus beherbergt, schnurren viel und lassen sich von dir streicheln.

Auf jeden Fall bis nächstes Jahr.

December 19th, 2015

winter

Wie friedlich so eine Wintersonne am frühen Nachmittag ins Wohnzimmer scheint, kriegt kein ernt mit, das immer nur arbeitet oder schläft.

Endlich wieder Zeit! Für alles! Für nichts! Am besten im Bademantel mit Kaffee und Klaviermusik. So kann das erntgewegen gerne ewig gehen.