Häuptling beschlagnahmt.

April 21st, 2009

Es passiert ja immer was an der Uni Nantes. Heute wurde zum Beispiel unser Oberhäuptling Hervé Quintin, Direktor des UFR de Langues, seiner Freiheit beraubt, weil von ungefähr 20 Studenten in seinem Büro festgehalten. Die ließen ihn da nicht mehr raus und forderten ein „semestre blanc“, was so viel heißt wie allen Studenten pauschal 10/20 Punkten zu geben, sie also durch das Semester zu winken, das wegen des blocus eigentlich nie stattgefunden hat. Es wird verhalten wieder vollversammelt in Nantes! Keiner weiß, wohin das führt, aber es bleibt weiter spannend.
Wenn wir schon beim newstickern sind: ACTE allemand hatte heute abend große Premiere im Théâtre Universitaire und spielte ein wunderbares „Stadt Dessen“. Statt Pollesch (…pfui! rückte der einfach nicht die Autorenrechte raus!) gab es Globalisierungsschnipsel mit überlagerten Videoprojektionen und Live-Musik. Komplex und lustig und seltsam und ein bisschen deprimierend. Wir sollten alle aufs Land ziehen.
Erstmal zieh ich aber in meine neue Wohnung.
DENN ICH HAB SIE ENDLICH!!
Großer Glücksgriff mit 50m2 und echten Fenstern! Also welche wo Licht durchkommt und kein Regen! Die auf und zugehen! Es ist der Knüller. Es ist wunderbar. Es ist unbeschreiblich.
Es gibt eine gigantische ECKBADEWANNE!

Boy. Pop.

April 19th, 2009

Dem einzigen Mann, dem ich einen Altar bauen werde, in meiner neuen Wohnung nämlich, die ich übrigens sehr bald bekommen werde, ist und bleibt, für immer und ewiglich, mein grandioser Blixa Bargeld. Der mir kürzlich ein Buch schrieb. Das heißt “Europa kreuzweise” und erschien im kleinen aber feinen österreichischen Residenzverlag. Tüllich ist der kryptische Posttitel daraus. Boy und Pop sind nämlich Blixas Antworten auf die immergleichen Fragen der immergleichen Ahnungslosen: “What’s the name of the band?” und “What do you play?”. Brüller!
In der Litanei erfährt man außerdem, was der Gourmet wie wo gegessen hat und trifft auf lustige Adjektive wie “geriatrisch”. (“Hier hab ich vor ein paar Jahren mal gegessen, als ich eine schwedische Freundin hatte, es war damals so geriatrisch wie das Kranzler.”, S. 58) Da kann man sich lange mit aufhalten, rauszukriegen, was Mister Bargeld damit meint. Brockhaus und Wikipedia können sich in die Ecke stellen und schämen mit ihren diesbezüglichen vagen hints und zwanghaften Sachlichkeiten. Blixalein ist ein Poet, der zaubert ja selbst das Planetensystem mit sich und seiner Stimme auf die Bühnen seiner Wahl! Und auch wenn ich mir in meinen soeben beendeten zweiwöchigen Ferien vom Nichtstun überlegt habe, nicht mehr zu warten (denn, ey, nichts ist sicher und wer weiß schon was kommt), gefällt mir so sehr das “Ich warte”. Den Text hat er mir ins “Europa kreuzweise” gedruckt. Danke, Blixa!

Und vielleicht ist ja doch eins sicher: Es gibt immer die richtige Musik.
Für die nächste Katastrophe. Für das nächste Freudenfest.

(…)
Ich warte auf die Kellnerin
hab Monde mir bestellt…
Ich warte durch die ganze Zeitung
bis es Zeit ist für die Welt

(…)
Ich warte auf die eine
die ihren Namen wohl verdient
immer da war immer recht hat
auf die eine die die Sonne ausgräbt
das Gesetz der Gräber aufhebt
Ich warte auf die die taktlos erntet
honigtriefend
barfuß tanzend ohne Hemmschuh
die Ton für Ton der Starre entkommt
die jedem auf Anhieb bekannt vorkommt
Ich warte bis sie Türen Tore Schleusen öffnet
bis sie wolkenbrechend – Weckruf Fanfare –
überraschend aus dem Hinterhalt sich stürzt
Ich hoffe sie zettelt eine Hymne an
Ich warte bis es nichts mehr zu warten gibt
das Leben ist kein Irrtum, kein Irrtum ist Musik
Ich warte
Ich warte immer noch

Diese Stadt und ich.

April 1st, 2009

Vertragen uns grad wieder, scheint mir. Zu blöd hatte sie sich aber auch benommen! Erst Fahrradklau (Am Rücktritt den Hals brechen!), dann Vermieterterror (Zeter-Brigitte hat zu starke Stimmbänder.) und diese Wohnungssuchkatastrophe (Wie, mehr verdienen Sie nicht?). Und dann auch noch den Job geklaut. Dazu mächtige Schauer körnigen Eises in Streifen direkt durch die undichten Fenster ins angeknackste Gemüt. Mo-na-te-lang. Pfui Teufel! Eben, kehr ich ihr also den Rücken, auf dass sie sich besinne, diese Diva. (Denk ja aber doch an sie: in der Winterlandschaft, an der Ostsee, in der Normandie.)

Die Diva hat sich eingekriegt und schickt seit meiner Rückkehr kleine Versöhnungsangebote. Die nehm ich wahr. Nantes gibt mir meinen Job zurück, strahlt wie nur was und drückt Menschen im rechten Augenblick Stadtpläne in die Hand, die mir daraufhin den Hals retten. Bietet Theater zum Wundern (So tanzt man also mit Eisblöcken!) Arrangiert sogar exquisite Büffets in dem Moment, wo mich Hunger plagt. Schickt einen Sprachdompteur. Und heute! – Heute zeigt sie mir meine zukünftige Wohnung. Glaub ich jedenfalls.

Also, Nantes, dafür dass Du jetzt so strahlst und Dich ehrlich zu bemühen scheinst, verzeih ich Dir diesen grässlichen Winter. Frieden, ne.

Schade um die schönen Rosen.

March 25th, 2009

In Nantes sprießen auch Gänseblümchen auf Wiesen am Fluss. Recken neugierig die zarten Köpfe in die Sonne, die schon wärmt. Der Schmerz ist akut, im Ohr und in der Nase und im Herzen, wenn dann schweres Geschütz die Neuankömmlinge radikal abrasiert. Der Entfaltung jäh ein Ende setzt. Kaum da – schon weg. Man kann sich Fragen stellen, aber zu verstehen gibt es nichts. Ein Schlachtfeld, das nach frisch gemähtem Rasen riechen könnte, wäre da nicht der beißende Benzingestank des Rasenmähers. Ich hätte gern Einspruch erhoben. Hätte gern freundlich darauf hingewiesen, dass dort was wächst! Doch der Rasenmähermann, der Verbrecher, er spricht nicht meine Sprache.

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March 17th, 2009

Briefing in Zurückzetern auf Französisch.

Brigitte dreht inzwischen nämlich durch und brüllt und garstet und kratzt an meinem Nerv. Und drohgebärdet, als hätte sie was gestochen. Wahrscheinlich hat sie nun nämlich Druck von was weiß ich wem wegen meiner Fenster, die keine sind. Blöde Kuh. Geduldig war ich, freundlich war ich, milde. Hab mich an alle Regeln gehalten, die es hier gibt. Nun geht es aber zu weit. Weil ich nicht bereit bin, fremde Leute in meine Wohnung zu lassen, wenn ich selbst nicht anwesend bin, psychoterrorisiert Brigitte nun mit Kosten, die auf mich zukämen, weil ich notwendige Renovierungsarbeiten verhindern würde. Und hält mir Vorträge, wie Unternehmen funktionieren würden. Na hallihallo.

Stünde ich demnächst ohne Fenster da, wäre das meine Schuld!

Brigittchen faucht sich in Rage, dreht alle Spieße um und rammt sie mir dann ins Bein. Gefällt mir natürlich überhaupt nicht, dass ich humpelnd nicht zurückgarsten kann wie ich möchte! Würde ihr nämlich gern um die Ohren schleudern, dass sich Madame einen Dreck geschert hat, als es reinregnete und ich im Feuchtbiotop lebte! Dass sie auf keinen meiner Beschwerden geantwortet hat! Keines ihrer Versprechen je gehalten und überhaupt lügt, dass sich die verschimmelten Balken biegen. Ob sie sich nicht bisschen schämt würd ich sie gern fragen und wenn’s geht in schnittig und schmissig und mit Schmackes, dass sie mal bisschen nachdenkt. Oder wenigstens kurz aufhört, mir in mein Ohr reinzubrüllen.
Kann jemand helfen? Weiß wer was?

Reicht.

March 17th, 2009

Wer sich zuerst bewegt, macht die nächste Rechnung klar. Nehm ich glatt einen Kredit für auf. Denn Rumsitzen soll aufhören. Auch deshalb fahr ich weg. Drei Tickets und der Reisepass liegen auf dem Tisch und kichern sich was zurecht. Wenn alles still steht und nix geht, geh ich. Erst in die Metropole, dann in die Hansestadt. Eine Hochzeit später werden die Dinge klar sein – wird eingepackt und verstaut oder ausgepackt und entkrampft. Fast egal, Hauptsache es bewegt sich was.

Zwischen den Generalstreiks.

March 14th, 2009

Wer blickt eigentlich noch durch?

Das Unipersonal streikt. Also nicht alle. Wer genau, weiß ich nicht. Ich streike nicht. Es streiken auch nicht alle gleich. Manche Institute streiken pädagogisch (keine Kurse), andere streiken administrativ (keine Unterschriften mehr auf offizielle Dokumente.) Das Germanistikinstitut streikt administrativ, hat aber keine Studenten. Weil:

Die Studenten streiken. Also nicht alle. Aber viele. Die treffen sich dann einmal die Woche in vierstündigen Vollversammlungen und reden und manche wackeln lustig mit den Armen, wenn sie mit was einverstanden sind. Und sie machen Aktion auf der Straße, da gibt’s auch beinahe täglich Artikel in der Regionalpresse.

Studenten und Personal streiken aber nicht aus denselben Gründen. Studenten streiken zum Beispiel gegen die Masterisation des concours (die Lehrerausbildung soll demnächst in einem unschaffbaren Master stattfinden). Das Unipersonal streikt zum Beispiel gegen den Status der enseignants-chercheurs (wobei Valérie Précresse hier schon auf einige der Forderungen eingegangen ist – reicht aber wohl noch nicht.)

Manche munkeln, ohne die Studenten könnte es gar keine Bewegung des Personals geben. Und Studenten sind auch manchmal gar keine Studenten, sondern altes Anarcho-Urgestein, was seit Jahren bei jedem Streik mitmischt und bei AGs abstimmt. Und die Gewerkschaften, ne, die machen auch mit in den AGs, weshalb Abstimmen jetzt nur noch mit Studienausweis geht.

Soweit so unklar. In einigen Fakultäten (Jura) findet gar schon wieder Unterricht statt. Und wenn dann pro-blocus-Leute in deren Seminare stürzen, um sie zu „retten“, schreien jene, sie könnten sie mal. Nicht jeder Student ist nämlich für die Fortsetzung des Streiks. Auf dem Uniforum kann man eine Milliarde Kommentare zur Fragestellung lesen, was der Streik letztlich nützt. Wird sich auch viel beschimpft dort, kann man gut Vokabeln lernen. Zudem gibt es inzwischen auch eine Petition der Leute, die gegen den Streik sind. Da wird auch gefordert, dass alle Blockierer bestraft werden. Weil, ja klar, es werden natürlich wieder Sachen zerkloppt (vor allem Technik) und Stühle geklaut, einige Gebäude sind nachts besetzt. Die Petition läuft über die Bewegung UNI, der man skeptisch gegenüberstehen sollte, weil plakativ gehetzt wird gegen den „intellektuellen Terrorismus der Extrem-Linken“.

Nun ist die Entscheidung der Studenten über Streik oder Kurs heilig. Allen. Denn die studentische Vollversammlung als „demokratisches“ Entscheidungsgremium ist wichtig und muss respektiert werden. Deshalb gibt es bei uns also keinen Unterricht. Der Kontakt zu den Studenten ist leider inexistent. Unser eingerichteter Raum zum Versammeln, Arbeiten, Organisieren wird von 4-5 Leuten genutzt. Wenn er nicht geschlossen ist wegens akuter Gewaltgefahr. (!!!)

Besonders weh tut das alles, wenn man an die Anfänger denkt. Die frisch an der Uni sind, die noch nichts wissen von ihren Rechten und Pflichten und die über die sechs Wochen jedes deutsche Wort vergessen, das man ihnen mit den Kollegen zusammen so schwungvoll im ersten Semester eingeholfen hat.

Gelähmt! Und keine Ahnung, wo man sich in dieser Situation wie engagieren kann! Es gibt diese université populaire. Eigentlich eine gute Idee, den Streik positiv umzukehren indem man Seminare zu wichtigen gesellschaftlichen Themen organisiert. Und Filme und Konzerte. Den Streik nutzt, um Wissen zu vermitteln. Diese Bewegung scheint jedoch etwas verpönt bei den Studenten, weil organisiert von Leuten, die gar nicht „betroffen“ wären?

Inzwischen nervt es. Wer dran bleiben will, der kann nebenbei keine Berichte oder Artikel schreiben. Der müsste täglich an die Uni, in die AGs, auf die Straße. Könnte man schon schaffen, aber eben nicht mit Berichten und Artikeln im Nacken. Oder elendlangen Interviews, die transkribiert werden müssen. So kommt also nur die Hälfte der Informationen hier an. Die andere Hälfte ist grau und wird bemunkelt und macht mürbe.

Von 83 französischen Universitäten betrifft diese Situation fünfzehn. Nantes ist dabei. Vielleicht bis zum nächsten Generalstreik, am 19. März. Denn bisher gibt es von der Regierung keinerlei Reaktion auf die Fragen und Forderungen der Studenten. Seit sechs Wochen Schweigen im Walde. Und ich seh aber die Bäume nicht.

vélo volé.

March 9th, 2009

Nix olé olé. Fahrrad geklaut! Kack. Kackkackkack! Und grad am internationalen Frauentag! Mich so einzuschränken in meiner Bewegungsfreiheit! Kack!
Versicherung? Winkt ab: zu alt, zu schrottig, nix mehr wert. Zur Polizei? Ich? Pffff. Ach schnüff… Ein Neues steht aber schon um die Ecke. Es heißt Waclav-Pavel und funkelt wie nur was. Das Teuerste an ihm ist aber das Schloss. Ma sehn.

Pilze sind Jazz.

March 6th, 2009

Im Supermarkt gibt’s aber nur Cornichons. Was machen? Was machen. Aufs Fahrrad und ab ins Pannonica. Das der Ort in Nantes, wo man Jazz kriegen kann. Und heute abend soll es dort 4 Saxophonisten geben, die welchen machen. Gibt es auch. Plus die Barfrau. Mit Erntge also sechs Leute. Aber nicht mit Erntge. Die fährt zerknittert zurück nach Hause und nagt vergnatzt an sauren Gürkchen.

Komma Punk.

March 2nd, 2009

Dieses Buch ist auch eine Ode an das Komma. Mehr Kommas kann kein Autor setzen. Wozu das Komma eigentlich da ist, weiß ich. Bei Michael Wildenhains „Träumer des Absoluten“ nicht mehr. Um Regeln schert sich nicht der Komma-Punk. Mir war lange nicht klar, dass das Komma aus dem griechischen für „Schlag, Abschnitt, Einschnitt“ kommt. Schlag! Das hat sich wohl auch Wildenhain überlegt und zerkloppt lustig klassische Syntaxen. Natürlich nicht regelmäßig, denn um Regeln schert sich nicht der Komma-Punk. Tritt aber gegen sich selbst an im Wettbewerb um die meisten Nebensätze. Und das ist übrigens auch noch herrlich zu lesen! Weil man sich Zeit nimmt für die Geschichte: denn jedes Komma bedeutet Pause und im Falle dieses Buches meist auch Ort-, Zeit- und Bildwechsel. Wer da rast, dem wird schnell schwindlig. Gibt ja Leute, die drauf stehen. Wer aber Zeit hat, verlässt bald seine eigene für die Welt von Tariq und Jochen (oder Joachim?). Fern, sanft und ernst.
Hier gibt es eine Kritik zum Buch.