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Harmlos und wahr.

Sunday, September 18th, 2016

katz
Einige Sachen haben sich eingeschlichen und tun jetzt so familiär.

Eine Ja-Katze sagt plötzlich nein.
Es knirscht in der Achilles-Sehne.
Die Zähne werden täglich weißer.
Zuhause zieht es durch. Es geht.

Und im Zoo muss jemand Pillen verteilt haben: alle Tiere gähnen.
Tiere, die gähnen, sind friedlich. Sie machen keinen Dreck.

Annehmen und Abgeben.

Thursday, September 1st, 2016

annehmen
Also Packsack borgen, Zedan einpacken, Ohropax kaufen. Den dünnen Schlafsack? Eine Rolle Klopapier, Fahrradhelm. Und Spanngurte. FAHRRAD!!! Gut. Eine Fahrradtour soll es also werden. Elf Tage lang. Und Erntge hat keinen Schimmer. Weil die Schüler diesmal „alles“ „geplant“ haben. Fünf Tage vor Abfahrt können sie weder Ziel noch Startpunkt nennen. Aber, dass das Essen immer in Supermärkten gekauft wird. Und dass wir 2x im Zelt schlafen werden, Erntge hätte doch eins? Äh, ja klar! Ob man also auf dem Jakobsweg auch Fahrrad fahren kann, werden wir herausfinden. Ebenso, ob die boys ihr Rad im E-Fall geflickt kriegen, da wollen sie sich am Wochenende ja noch mal was auf youtube zu angucken. Erntge darf sich jedenfalls elf Tage lang in nichts einmischen! Nur aufpassen, dass keiner bei stirbt. Das wird bestimmt toll. Und am herausforderndsten natürlich für Erntge. Diese gerissenen Halbstarken: statt sich selbst, fordern sie Erntge heraus. Die will jedenfalls planmäßig annehmen und abgeben.

graphic hi_story.

Friday, August 26th, 2016

zinn 1

Ein Hoch auf das liebste Meerestier. Sie hat es wieder getan und Erntge ist jetzt verliebt in Howard Zinn. Leider ist der schon tot. Aber frischer denn je ist seine „A people’s history of American Empire“ (2008). An der neusten Schublade in Erntges imaginären Schrank der tausendundeiner Literaturgattungen steht schick „graphic history“.

Keiner mag die USA. Zinns Buch erinnert daran, wieso. Aus den Perspektiven Unterdrückter wird die stumpfe Ausbreitung des US-amerikanischen Imperiums über die Jahrhunderte nachgezeichnet. Dabei stehen individuelle Schicksale und historische Details im Vordergrund. Die leichten schwarz-weiß-Zeichnungen von Mike Konopacki vermitteln die schwere Geschichte von immergleichen Größenwahn, Anmaßung und Arroganz. Sie werden sorgfältig mit authentischem Quellenmaterial untermauert. Die Handlung rahmt die Person Zinn selbst ein: wir fühlen uns wie bei einer seiner Vorlesungen, in der Geschichte lebendig wird. Dass Zinn so ein engagierter Typ ist (Bürgerrechte, Friedensbewegung), macht ihn unglaublich sympathisch. Klug!

Zahlreiche Anekdoten lassen uns kopfschüttelnd zurück. Beim spanisch-amerikanischen Krieg starben übrigens 94% der Soldaten an … Gammelfleisch! Die Firma Amour and Co aus Chicago verkaufte 2,5 Tonnen verdorbenes Fleisch an die Armee.

zinn 2

Was nun tun mit der ganzen Wut auf diese große Schweinerei US-amerikanischer Kolonialgeschichte? Nach dem Moro-Massaker (US-Soldaten kesseln auf den Philippinen 900 schutzlose Indigene ein und schlachten sie regelrecht ab) gratuliert Präsident Roosevelt zu dieser „brillianten Glanzleistung“ durch die die „Ehre der amerikanischen Flagge“ so hoch gehalten wurde. Das ist widerlich. Erntge wusste nicht, dass Mark Twain seine letzten 10 Lebensjahre dem Kampf gegen die Besetzung der Philippinen widmete und dass er sich als Anti-Imperialist eine US-amerikanische Flagge mit schwarzen statt weißen Balken und mit Totenköpfen statt Sternen wünschte.

Auf die Ereignisse von 9/11 reagiert Zinn mit dem Vorschlag eines neuen Denkmodels: an den Schmerz derer denken, die überall auf der Welt Opfer US-amerikanischer Militäraktionen geworden sind und bewusst entscheiden, keinen Krieg zu beginnen. Politik und Medien kritisch hinterfragen. Sich klar machen, dass die Invasionen in Afghanistan und im Irak keine Einzelereignisse seien, sondern Teil eines wiederkehrenden Musters US-amerikanischen Verhaltens.

Es gibt diesen kleinen Film „Empire or Humanity? What the Classroom Didn’t Teach Me about the American Empire
 by Howard Zinn“, der einen sehr guten Einblick ins Buch und Zinns Auffassung gibt.

Sternschnupfen & Bewölkung.

Monday, August 15th, 2016

verwegen

Zylinderella und Binoche lagen im Zelt. Draußen prasselte es. Die Wände zuckten und zeigten immer wieder: Lichtschatten in Panik. „Achtung Achtung: Tropf über Kopf!“ robotterte Zylinderella und steckte sich eine Handvoll Chips in den Mund. Binoche seufzte. Im Schein der Stirnlampe sah sie die Krümel in Zeitlupe auf die Isomatte fallen. Den Gedanken an Fettflecken im geborgten Zelt verbot sie sich und sagte stattdessen: „Du, ich les diesen Moby Dick jetz nich mehr weiter. Das mir alles zu rassistisch.“ Zylinderella nickte ab. „Und ich hab mich letztens gefragt, was Cocktail eigentlich wörtlich übersetzt bedeutet.“ Binoche überlegte kurz, knipste dann die Lampe aus und kuschelte sich in den Schlafsack. Wie schwer abhängen ist, dachte sie noch und schlief ein.

Schaum und Scheune.

Monday, July 25th, 2016

schwein
Vor der Scheune ist nix los. Es ist zu früh. Trampolin springen geht magentechnisch noch nicht. Es kribbelt nur kurz, um dann sehr kräftig zu flauen. Uiuiui, lieber nix riskieren so früh am Morgen.

Kalle hat schlechte Laune. Er quängelt laut über den Platz und kann schwer fassen, dass Vati nur mit dem ollen Pfandflaschen rumklimpert, statt ihn in den Arm zu nehmen. Vom Baumhaus aus ist gut sichtbar, wie genervt Vati immer größere Kreise um den weinerlichen Sohn zieht.

Die Luft ist herrlich. Die Sonne wärmt schon und kündigt einen weiteren Sommerbadetag am Waldsee an. Wohlige Seufzer gegen Kühe und Feld.

Hannes stolpert ins Bild. Er checkt das Schweinekarussell, probiert einen Hula-Hoop-Reifen, lässt sich voreilig vom Saltospringer auf dem Trampolin abschrecken. In den Waschzuber kommt er nicht rein. Auch keine spannenden Funde an der Feuerstelle. Plötzlich ein Grinsen und Schwung im Gang: der Kicker ist endlich frei!! Auf halber Strecke plötzlich halt. Ist noch keiner da zum kickern. Kack.

Ein größeres Kind hat die sticks zum drumset gefunden und macht so rum. Es scheppert verhalten und in Erntge zuckt’s nur so. Plötzlich hat sie wieder ungemein Lust auf spielen. Dass sich der Bengel so bitten lässt, nervt fast. Es ist nicht heldisch, kurz und wenig beeindruckend was dann kommt. Aber macht so Spaß! Alles wirkt auf einmal möglich an diesem verkaterten Morgen auf dem Sommerfest in Jabelitz. Ab jetzt Sommer.

Ernt’n’Ernst.

Thursday, July 14th, 2016

blog
Ernst: Erntge, so wird das nichts. Los tacker alles zu. Nimm den Akkuschrauber, die Schotten müssen dicht, man.
Ernt:   Ja. Muss das sein?
Ernst: Das muss! Du hast den ganzen Quatsch sonst sofort wieder drin.
Ernt:   … auf ist auch irgendwie schön. Ich bin total verliebt in auf.
Ernst: Toll, aber ey, das hier ist die Welt.
Ernt:   Meinst du nicht, es geht auch beides? Am besten in Balanz?
Ernst: Nee, echt. Ich seh doch, deine Stirn knittert sich schon wieder einen ab. Das scheiße!
Ernt:   Dann war’s das, oder was. Kann ich nich wenigstens ab und zu?
Ernst: Das zu schwer.
Ernt:   Nein. Das geht. Ich überleg mir wie.

Hä?

Sunday, June 12th, 2016

da

Bcedwqdwjsjjsjsjsjjsjsooowijfincxcefijasc. Ein Parkplatz. Brjrkdncdsfmds. Auf der Autobahn. Bier. Endlich. Tabak ohne Leichenfotos drauf. Die liebsten Freundis grinsen. Haaahag djjdjdjcksüw dpmvnejrg wuqepsö.-x. Alles durcheinander. „So schön ruhig hier!“ Qwhejdnascnsnn. Die Straße geleckt. Nirgends Plastikmüll. Richtiges Grün. Hansestadt. Wir haben Angst, sie dreckig zu machen. Dann Butzi. Liebste. Harrrr mmmmmmmm. Alles, was aus dem siffigen Rucksack kommt, stinkt so. Ey Maschine, wash my wäsh! Brrrrm mknn nckkk. Wie geht ankommen? Auf der Uhr stehen Zahlen ohne Zusammenhang. Der muss irgendwann wieder hergestellt werden. Noch nicht. Bitte nehmt Rücksicht. Erntgi blickt noch nicht durch. Bsssss smlkkhuihjkm,..

Naikap Namaste!

Friday, June 10th, 2016

n0
Die letzten Tage sind wir ganz aufgeregt: wir freuen uns auf Zuhause. Auf Wind, Ostsee, Möwengekicher und die friends. Wir möchten wieder selber kochen und zwar mit Lebensmitteln, über die wir nicht erst nachdenken müssen. Wir möchten Wasser, das uns nicht krank macht. Wollen waschen, nicht desinfizieren. Uns ist klar, in welch paradiesischer Ausnahmewelt wir leben – wir freuen uns sehr auf sie.

Bei unserer letzten Trommelei platzt der altar room aus allen Nähten vor Energie. Wir sind überwältigt und fragen uns, wie wir all die neugewonnenen Einblicke bloß in unseren Alltag gezimmert kriegen können.

Abends sitzen wir mit den jungen Nepaliboys im Garten. Schnell kommen Gitarre und Bongas dazu und schon sind wir mitten im Konzert. Die boys singen uns nepalesische Popschnulzen vor und zwar mit einer Inbrunst, die uns fast die Sprache verschlägt; Herz und Mund stehen uns weit offen. Dass so junge, vor Kraft strotzende Männer gemeinsam und mit ganzem Herzen vor uns singen, berührt uns. Wie uncool das bei uns wär! Wie out emotionales Ergriffensein bei uns ist! Natürlich bitten uns die boys auch, was aus unserem Land zu singen. Uns fällt natürlich nichts ein. Überhaupt nichts. (Nicht mal Dat du min Leevsten büst oder Der Mond ist aufgegangen.) Wie armselig wir sind. Als wir daraufhin wenigsten die deutsche Nationalhymne singen sollen, müssen wir wieder mit dem Kopf schütteln, … keine Ahnung ob uns die boys verstehen konnten. Wahrscheinlich halten sie uns für emotional total verkrüppelt und bemitleiden uns aufrichtig.

Zur Verabschiedung gibt es für uns am letzten Tag die head-up ceremony, bei der uns alle guten Wünsche und Bestärkungen übergeben werden. Es ist ein Riesendurcheinander, weil drei unterschiedliche Schamanen (Sherpa, Kirati und Tamang) gleichzeitig, also polyglott, bewünschen. Wir sind ziemlich benebelt und behangen mit den typischen weißen Tüchern. Alle Sachen aus Nepal, die wir mit nach Hause nehmen, werden ebenfalls bewünscht. Danach verabschieden wir uns von allen… es ist eine sehr aufwühlende Angelegenheit, die bis in die halbe Nacht dauert. Ursula sagt übrigens, dass es nur im Hals kratzt, wenn man verkrampft versucht, die Tränen zurückzuhalten, sonst nicht.

n1

Parvati.

Tuesday, June 7th, 2016

paravti

Ich komme jeden Tag um 5 Uhr 30 ins Haus und bereite den Ahnenraum vor. Der Helle sitzt dann oft schon auf der Bank. Ich mag ihn, er schenkt mir immer Zigaretten. Ab 8 wird es heiß und die anderen Hellen kommen hinzu. Sie schauen mich immer verschüchtert an, mit Respekt. Mir wäre es lieber, sie würden mal aus sich herauskommen und diese schwere Ketten ablegen, die nur ich sehen kann. Beim Trommeln knittern ihre Stirnen und sie halten sich an ihren Ketten fest und lassen einfach nicht los. Sie lieben Papier und schreiben auf, was man nicht lernen kann, sondern erfahren muss.

Vielleicht wird aus dem Hellen was. Er kann sehen und versteht. Als ich 9 war, fing es bei mir an. Ich wollte das nicht. Sprang vom Felsen. Half nicht. Dann musste ich.

Wenn die Hellen schreiben und so heftig nicken mit ihren großen Augen, mach ich meine zu. Meine Kraft muss ich mir einteilen, sie wird jedes Jahr kleiner. Ich spreche nie Englisch, obwohl ich gut verstehe. Das hält mir eine Menge vom Hals. Ich mag meine Ruhe.

Ich bin 70 Jahre alt. Ich habe 10 Kinder geboren. Eins habe ich verloren. An den Alkohol. Meinen Mann heiratete ich, als ich 15 war. Heute ernähre ich die Familie allein. Es gibt kaum Arbeit für die Jungen.

Seit Mohan nicht mehr da ist, hat sich hier viel verändert. Es war schwer, ihn wegzuschicken. Er wollte einfach nicht gehen. Er wollte bleiben. Hier bei seiner Familie, seinen Frauen, seiner kleinen Enkelin. Er versteckte sich. Ich zog also meine Tracht an, suchte und fand ihn endlich, die anderen mussten mich halten. Er weinte und wollte einfach nicht gehen. Ich sagte: „Du musst.“ Die Helle weint, wenn ich das erzähle. Ich weiß nicht warum.


(JAHA ODA: From here we start our journey.)

Maskmandu.

Monday, June 6th, 2016

maskmandu

Wollen wir zur Bank, müssen wir über den Highway. Das geht nur mit Atemschutz. Nähern wir uns der Straße auf 100 Meter, spüren wir den Dreck bereits: unsere Augen tränen, der Staub kriecht in die Nase, es knirscht zwischen den Zähnen, wir kriegen Kopfschmerzen. Der Lärm der dicken LKWs ist ohrenbetäubend. 200 Mikrogramm Feinstaub pro Kubikmeter!

Wir richten unseren Blick starr auf den Boden. Was dort liegt, ist nicht zu fassen. Neben den üblichen Müllbergen aus Plastik, ist viel Undefinierbares dabei. Aus blauen Mülltüten stehen Haare zu Berge, vielleicht ist es Fell, … und ist das dort ein Kiefer?

Es gibt keine Umweltbestimmungen für Kraftfahrzeuge in Nepal. Hier knattert alles vorbei. Schwarze Rußwolken versperren uns minutenlang die Sicht. Es ist immer Stau, alle hupen. Obwohl Artikel 35 der neuen Verfassung jeder Person in Nepal das Recht auf ein Leben in sauberer und gesunder Umgebung zusichert, ist das Land weit entfernt von nachhaltiger Umweltpolitik. Die Regierung legt keine konkreten Berichte über die Luft-, Lärm- und Wasserverschmutzung vor. Alle Dokumentationen und Messungen diesbezüglich unternehmen andere Länder. Während die Luftverschmutzung höhere Priorität genießt, weil sie für die Nepali täglich einschränkend wirkt, landen die Themen Lärm- und Wasserverschmutzung auf keiner Agenda der Regierung. Initiativen, wie die Verbannung von Plastiktüten in Nepal, warten vergeblich auf das zugesagte Geld.

Nach dem Environment Performance Index 2016, der die ökologischen Leistungsbilanz (Umweltgesundheit, Luftqualität, Wasser, Biodiversität etc.) von Staaten misst und vergleicht, landet Nepal auf Platz 149 von 180. Bei der Luftqualität landet Nepal sogar nur auf Platz 177. Kathmandu gilt als die drittverdreckteste Stadt der Welt.

Umso mehr freuen wir uns über Initiativen junger Nepali, die am Weltumweltag Zeichen setzen wollen und ihrem Unmut über die unerträgliche Situation Luft machen.

(Vgl. Pramod Kumar Tandan, “Pollution control not getting gouvernment’s due priority”, Himalayan Times vom 5. Juni 2016)