Es nistet und zirpt.


Vielleicht ist ja immer nur wichtig, was haften bleibt. Also was sich einnistest im Hinterstübchen und von dort aus hin und wieder trällert und zirpt. Bei Erntgi nisten grad sehr schräge Vögel im Hinterstübchen. Und ein Rentier. Ein paar Vögel sprechen Polnisch. Eine der Vogeldamen trägt lange falsche Wimpern und tanzt mit ihrem Gesicht Verkehrsunfälle, Baby-Amme-Dialoge oder den Tod.

Wer in Berlin Gegenwartskunst kieken möchte (oder einfach mal wieder das Gehirn durchpusten lassen), soll in den Hamburger Bahnhof in der Invalidenstraße. Aber bitte Nase zuhalten. Denn aktuell steht in der großen Eingangshalle ein Rudel Rentiere zwischen überdimensionalen Fliegenpilzen, Kanarienvögeln und Mikroskopen. Wieso? Ey, keine Ahnung. Die Ausstellung heißt „Soma“ (Carsten Höller), aber wer da auf Strokes hofft, kriegt… Augenringe. Kommen keine Strokes. Auch keine Anspielung auf „1984“. Stattdessen vielerlei Gesülz zum mythischen Trank Soma, der ja schon in der Rigveda (2. Jahrtausend vor Chr.) vorkäme und ach die Somapflanze: am Ende doch unser gemeiner Fliegenpilz? Gemischt mit Rentierpisse? Öhem.
Im Untergeschoss der Rieckhallen gibt’s Performance-Videos, von denen auch niemand weiß, warum. Warum sich der nackte, maskierte Mann da auf dem Bildschirm mit Boxhandschuhen rote, zähe Paste zwischen die Arschbacken schmiert.
Später, im Bereich zum „Wiener Aktionismus“, bleiben keine Fragen offen, weil die gar nicht formuliert werden können. Joseph Beuys ewiges Gemurmel „Ja ja ja ja. Nee nee nee nee.“ tröstet im nächsten Raum und macht den ewigen Kreislauf der Dinge bewusst.
Ein großes Glück bringt dann die Ausstellung zu Valeska Gert im Obergeschoss: wow! Was für eine Frau. In Sachen performative Künste (insbesondere Moderner Tanz) ist die Dame einfach mal progressiv immer ganz vorn dabei gewesen und entwickelte ihrerzeit Kunstformen, für die wir erst heute Namen finden. Ihr berühmtestes Werk ist der Tanz „Pause“ und sie ist in Filmen von Schlöndorff, Pabst, auch Fellini zu sehen. Valeska Gert tanzte von Autos überfahrene Männer, performte die „KZ Kommandeuse Ilse Koch“, mimte Geister. Und Erntgi ist total verknallt und musste sich gleich ein Buch kaufen, um ein Stück Glück aus dem Museum mit nach Hause zu nehmen.

Wer in Berlin Gegenwartskunst hören möchte (oder einfach mal ein Bier mit Anne trinken), der soll in den Club der polnischen Versager in der Ackerstraße. Einmal im Monat gibt es dort die „Schizonationale“ zu verschiedensten, oft den Zeitgeist verfehlenden Themenstellungen. Auf Film, Trickfilm, Klaviermusik, Interviews mit interessanten Menschen, Geschwafel über alles und nichts, eine Stummfilm-Soap und ein bisschen Poem darf mensch sich einrichten. Aber nicht zu fest, weil doch immer alles anders kommt. Am Ende saßen wir mit Christophs Mutti am Tisch und hörten uns Familiengeschichten an. Süperb.

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