Christian Beck rebelliert nicht mehr. Wollte er früher alle Menschen mit seiner Schreibmaschine töten, empfindet er heute endlos Sympathie für sie. Beck hat die Liebe aufgegeben. Hat die Suche nach dem Glück beendet. Lebt nicht mehr. Hat sich ausgeknipst, abgeklemmt, weggeschnallt. Nimmt nicht mehr teil. Schaut nur noch zu. Seiner Frau zum Beispiel. Was er nicht mehr selber kann, macht sie für ihn: leben. Allerdings nicht mehr lange. Seine Frau wird demnächst sterben. Auf Seite 65 erfasst Beck das noch nicht ganz. Kann er auch nicht, ist ja viel zu beschäftigt mit begreifen, dass seine Frau grad einen Asylbewerber heiratet. Um noch jemandem nützlich zu sein. Und der Asylbewerber, ein junger schmucker Typ, geht nicht mehr weg. Steht unter Becks Dusche, trägt dessen Pantoffel und … geht nicht mehr weg! Ein bisschen hat man den Eindruck, Camus’ Meursault wohne nebenan:
Beck: “Macht doch ein Kind zusammen, ich könnt dann drauf aufpassen.”
Frau: “Ich bin krank. Ich kann keine Kinder machen.”
Beck: “Ja, ich weiß. Aber bald bist du wieder gesund!”
(Zum Asylbewerber): “Stimmt doch, finden Sie nicht?”
Asylbewerber: “Können Sie mir einen Slip leihen?”
Beck hat alles falsch gemacht. Nickt und nickt und nickt immer nur. Bietet dem fremden Eindringling sogar seinen Platz im Bett an. Weil er meint, Liebe habe mit Aufgabe zu tun und Höflichkeit wäre die edelste aller Charaktereigenschaften. Wohin das wohl führt?
Wärmstens empfohlen sei also der Autor Arnon Grunberg, der 1971 in Amsterdam zur Welt kam und seit 2003 regelmäßig dicke Romane auf den Markt schmeißt. Der letzte heißt „Tirza“ (2006, 2009) und porträtiert einen ebenfalls angeknacksten Mann mittleren Alters, der einem freundlich die Hand reicht für einen ausgedehnten Spaziergang am Abgrund.
Arnon Grunberg (2006): L’oiseau est malade. Traduit du néerlandais par Anita Concas. Actes Sud. (dt. Der Vogel ist krank, Zürich 2005)