Erntge kann jetz übrigens alles: LKW fahrn, Sperrmüll zertreten und sortiern, 20 Kinder sicher über eine Straße führen, Decken grundiern und spachteln … achso, und Kuchen! Aber manchmal fühlt sich Erntge, als hättse inne Steckdose gefasst.
Erntge kann jetz übrigens alles: LKW fahrn, Sperrmüll zertreten und sortiern, 20 Kinder sicher über eine Straße führen, Decken grundiern und spachteln … achso, und Kuchen! Aber manchmal fühlt sich Erntge, als hättse inne Steckdose gefasst.
Puh! Erntge hat ihren freien Tag und erholt sich. Total gut: Erntge kann jetz tanken und hat die Superverriegelung (!) des Autos verstanden. Rückwärts ausparken musse noch üben. Abends is jetz irgendwie früher, ab 18h schon surrt das Gehirn so rum und wenn’s danach noch betreut in Küchen unbekannter Frauen geht, reichen zwei Gläser Wein und es hebelt Erntgo aus!
Beunruhigend ist das aber keineswegs, weil jeden Tag Kiloweise Sonne in Erntges Kopf tropft. Jeden Tag anders, aber immer Sonne. Manchmal landet sie im neuen Paar Hausschuhe für die Schule, manchmal in den Dolmengräbern links vom Lenkrad, manchmal im enorm effektiven Fensterputzutensil, das Mutti letztens dagelassen hat.
Einzig irritierend scheint Erntges junges Bedürfnis, andauernd Kuchen backen zu wollen. Wieso ist das so. Egal, Hauptsache es geht nach vorne.
Achja, schön dass Sie schon da sind, Elsbe hat nachher die Neunte in Französisch. Könntest Du heute den Morgenkreis übernehmen, ich muss noch was erledigen. And do the children decide themselves what to learn and when? Do they have to pass an exam to be allowed to go to this school? Mir geht’s vor allem darum, dass sie Strukturen verstehen, wenn sie auf nous mangeons treffen, dann will ich, dass sie wissen warum da das e steht. Ich glaub nich, dass Hörspiele beim Autofahrn ne gute Idee sind, musst Dich ja schon auch konzentrieren. Das würde dann Ihre Stammgruppe bis zur Sek II. 16 Fach und 4 Ag und HA und Bibo, da kämen wir ja denn auf 20. Das mit der Unterrichtsbefähigung wird dann noch Thema, das kriegen wir hin. Der Känguruh-Tag ist am 15.3., 12-13h30. Machste Einführung Possessivpronomen, Konjugation auf –er und être hab ich schon mit ihnen gemacht. Nee geht nich, da sind die Mädels aus der Achten beim Basketball Landesfinale. Die „Bauen und Wohnen“ Werkstatt konzipieren, trauen Sie sich das zu? Den Englischteil?
Nach der magenbitteren Erkenntnis, dass in Kultur nur ohne Bezahlung geht, hat sich Erntge fürs andre Sinnvolle entschieden und macht das jetzt auch – und zwar in Pantoffeln. Kein Scheiß. Erntgos neue friends heißen Leo, Said, Hannah & Co, sind so zwischen 13 und 16 und mit denen zusammen sitzt Erntgo nu schon eine Woche in Kreisen und die erzählen sich Sachen auf Englisch und Ernt spielt dabei fleißig Schreibmaschin. Ein Praktikum in der Schule, meine Damen und Herren! Und nicht etwa irgendeine Schnöde. Eine wahrlich Überzeugende und Bunte!
Und desterwegen liest Erntgo jetz dauernd Bücher zu offenem Unterricht und zieht sich morgens im Lehrerzimmer Hausschuhe an. Hat sich Erntge ja noch nie Gedanken drüber gemacht, dass Hausschuhe ja wohl so mit zum Privatesten vom Privatesten gehören und wie verstörend das ist, in Bibliothek, Klassenzimmer oder Mensa in eben jenen zu hocken. Ha!
Mitten im Lehrerzimmer, also auf dem schmalen Gang von Couch zu Kaffeemaschine, also genau dem Weg, den alle behausschuhten Beteiligten jeden Tag mehrmals beschreiten (müssen), steht eine Steinkugel, an deren Oberfläche Wasser plätschert. Und die steht da nich umsonst! Lobpreist symbolisch alle Hindernisse des Bildungsalltags, denen Lehrernde tagtäglich ausgesetzt sind. Noch is Erntge da jedenfalls nich gegengeklonkt und drückt die Daumen, dasses ersma so bleibt.
Wenn Erntge hier zu Kaffee und Kuchen lädt, gehen die Biervorräte mit drauf. Ganz natürlich. Eine ideale Ausgangslallage für einen schönen analogen Abend! An dessen Ende Leute Stifte zucken und schrei-ben. (Remember schreiben? Das kam vor tippen, – schreiben, mit so Schreibwerkzeug, wo auch der Daumen gefordert ist.) Na jedenfalls dürfen die Ergebnisse nicht vorenthalten werden, sie sind ganz grandios. Hier einige!
Während dirker Niebel übers Feld glitt, merkelte sie rein gar nix mehr und schlüpperte ihm am Wulff. Schon der Schavan sagt: Wenn man’s von der Leyen machen lässt, haste ruckzuck de Maizière. Sah ein Knab ein Rösler stehn, rubbelte sich an Nahles.
Staat, Sex, Amen.
Knisternd zersplatterte die Trübnis des frohen Abends, als Heiner seinen Arzt zum Apotheker trug. Während der vorige Papst ohne Staatsexamen in Amt und Würden gekommen war, hatte sich Ratzingers Ex-Haushälterin für seine Wahl stark gemacht. „Ficki Ficki Ficki Ficki!“, raunte Petra. Sie saß seit Tagen vor dem Kaninchenstall. Der Nebel in seinem Kopf verzog sich mit dem Anbruch der zweiten Flasche Gin, beim Leeren dieser dachte er an die völlig entkleidete Bundeskanzlerin und lächelte sanft. Eh Mann, nein, mach die Hose wieder zu! Und da war wieder das Gefühl, dass man das doch selbst viel besser gemacht hätte. Auf der anderen Seite der Straße sahen sie ein schnelles Auto, es war ein roter Porsche, in dem zwei Menschen Sex hatten und dachten: „Oh mein Gott, es geht immer um schnelle Autos und Sex.“ Doch Monika stöhnte, fasste sich ein Herz und sagte: „Jetzt nicht, lieber ein Sterni.“ Und er träumte von Monika, nachdem sie befriedigt war.
Wir verstehn ja so manches nicht. Karstens Urmundtheorie zum Beispiel. Oder die Heisenbergsche Unschärferelation. Letztere hat Doc Quante aber neulich so anschaulich erklärt, dass lauter Fragezeichen aus Erntges Frisur fielen. Mindestens zehn oder so. Erntge war ja lange nicht klar gewesen, wieso Menschen durch Messungen von Dingen eben diese verändern können. Jetz aber! Tosender Applaus für Quantings Gastgedank hier auf diesem Kanal:
„Stell dir vor, du bist blind und willst rauskriegen, wie groß der Stuhl ist, der an der Wand vor dir steht. Du hast paar Tennisbälle und fängst an, die nach vorn zu schmeißen. Triffste, kriegste raus, wo der Stuhl steht und wenne gut bist vielleicht sogar, wie groß der is. Steht auf dem Stuhl ne Bierflasche und du zerdepperst die beim Schmiss – haste das Ding durch deine Messung verändert.“
Nicht ganz sicher ist sich Erntge, wie herrlich die Heisenbergsche Unschärferelation praktisch, zum Beispiel im Straßenverkehr, anzuwenden geht. Wenn es unmöglich ist, Ort und Impuls eines Quantenobjekts exakt zu messen, denn könnte man doch jeden Grünuniformierten mit akutem Bestrafbedürfnis aufgrund überhöhter Geschwindigkeit mit Verweis auf Heisenberg und die eigenen Quanten in die Schranken weisen?
Am Tresen brubbelte Valesko zum Springfrosch: „Alle meine Knochen knacken. Es schmerzt hier und hier und hier. Jeden Tag sammel ich Geäst und ächz. Abends stemm ich alles gegen die Wände und schmier Modder und Zeug zwischen. Einmal bin ich in die Leiter gefallen. Morgens komm ich kaum hoch, aber ehrlich, glücklicher war ich selten.“
Der Stummelfußkröte krächzte Statiska ins Ohr: „Meine Haut zerfleddert. Die Drüsenleisten sind komplett versifft. Die Schallblase, ey, die is zu mit Staub und ich hust 67 Mal am Tag kannste dir das vorstelln. An meinen Schwimmhäuten verletz ich mich bald selbst, so rau sind die, aber ehrlich, glücklicher war ich selten.“
(Fortsetzung folgt.)
Wer sich für Literatur begeistert und Facetten von Intertext begreifen will, dem mag Marisha Pessl’s „Die alltägliche Physik des Unglücks” (2006) nützlich sein. Erntge hat das grad durch und einen bunten Blumenstrauß an Zitatengeklingel hinter sich.
Dieses Buch will erobert werden, so viel steht fest. Auf den ersten Blick wirkt es sogar abschreckend. Ein Cover so hässlich wie der Inhalt der Superillu, eine schnöde amerikanische Story von der sechzehnjährigen Blue (was für ein Name), die mit ihrem Dad (iiiiihhh, wer sagt denn so was), von College zu College zieht (mäh) und dann ist es auch noch elende 714 Seiten lang.
Ein zweiter Blick lohnt. Vor der Geschichte gibt’s nämlich eine Lektüreliste, welche Titel verschiedenster Romane mit Kapiteln des Buches verbindet. Pah!, entfährt es einem da: Übergeschnappt! Arrogant! Blender! Quer durch die Jahrhunderte und über die Kontinente hinweg reicht diese Liste. Dornröschen ist ebenso dabei wie Huxley’s Brave New World und nicht zu vergessen Ovids Metamorphosen. Alles klar.
Die Geschichte lässt sich Zeit. Hat man sie dann kennengelernt, diese Blue (die aus der Ich-Perspektive heraus erstaunlich klug beobachtet und alles was sie sieht mit Zitaten oder Zeichnungen belegt), sowie ihren Über-Vater (den intellektuellen Universitätsprofessor, der neben Benno Ohnesorg stand, als dieser erschossen wurde) – dann geht’s los. Eine feine Krimigeschichte entwickelt sich und zwar immer so, wie man es nun grad nicht erwartet.
Am besten hat Erntge allerdings die Abschlussprüfung am Ende des Buchs gefallen, die des Lesers „Verständnis umfassender Konzepte überprüfen“ soll. 14 Richtig-Falsch-Fragen* (30%), 7 Multiple Choice Fragen (20%) und ein Aufsatz (50%). „Nehmen Sie sich so viel Zeit wie Sie brauchen.“, steht ganz am Ende.
*Auszug aus der Abschlussprüfung:
Blue van Meer hat zu viele Bücher gelesen. R/F?
Mit Milton Black zu knutschen war wie:
A) Einen Tintenfisch zu küssen.
B) Von einem octopus vulgaris umschlungen zu werden.
C) Einen Kopfsprung in Wackelpudding zu machen.
D) In einem Bett aus Stirnlappen zu versinken.
Viele berühmte Filme und publizierte akademische Werke bemühen sich, den Zustand der amerikanischen Kultur, die heimlichen Leiden der Menschen, das Ringen um die eigene Individualität, die generelle Verwirrung, die das Leben so mit sich bringt, im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu beleuchten. Liefern Sie unter Verwendung konkreter Beispiele aus derartigen Texten eine umfassende Argumentation FÜR die These, dass solche Werke zwar erhellend, amüsant und tröstlich sind – vor allem, wenn man sich in einer neuen Situation befindet und eine gewisse geistige Ablenkung braucht – , dass sie aber auf keinen Fall die eigenen Erfahrungen ersetzen können. (…)
Erntge hat sich ihren Arsch platt gesessen. In Bussen, Zügen, Flugzeugen. Auf immer wechselnden Canapés und auf abgewetzten Sesseln, an denen verschiedenste neue Knirpse präsentiert, besungen, geschaukelt und vorbeigeschoben wurden. In Wohnzimmerküchen, in Restaurants und Cafés saß Erntge. Mit den Getränken wechselten die Gesichter und mal gab es Herzhaftes, öfter Süßes. Erntge war immer ein bisschen betrunken, lallte französisch und freute sich über die vielen klappernden Augen und Münder, die immer so lächelten, als schillerte direkt über Erntges Kopf ein Regenbogen. Ha!
Auf Erntges Schoß saßen die Zukunften ihrer Freunde. Sie sind zahlreich und so unterschiedlich wie das Wetter, das diesmal wie zum Spaß massenweise Puderzucker auf Stadt und Flüsse gestreut hatte. Nantes im Schnee, wer hat das je gesehen? In diese Kälte (in der Erntge sich übrigens auch eine lustige Angina anlachte, die sich auch zurück in der Hansestadt noch prachtvoll amüsiert), wurden Zukunftsmelodien gesummt, gebrummt und gescheppert und zwar mit sich türmenden wolkenkratzerhohen Erwartungen ans Später: schön!
Und es gibt ja einen Unterschied zwischen hier sein und da sein. Wer bloß da ist, hat Zeit für bisschen Ostsee und paar Biere. Wer wieder hier ist, bleibt ersma. Erntge ist wieder hier. Kaum aus der Mitfahrgelegenheit gefallen, purzelt sie wieder zufällig bekannten Menschen in die Arme – und die haben jetzt dicke Mützen an und Handschuhe auch und Schals und so – weil ja anne Küste doch so ein gewisser Wind schneidet, vor allem aufm Fahrrad, – na jedenfalls: geht das nun schon die ganze Zeit so: ständig Liebegesichter, die erst Willkommen lächeln und dann Schnaps auf die Tische stellen. Juhuuuu!
Im Einwohnermeldeamt hat Erntge ein tolles Lineal geschenkt bekommen. Früher gabs ja fürs Anmelden in der Hansestadt Fahrräder, aber das ist a) lange her und b) freut sich, wer eigentlich mit aggressiven Vorwürfen rechnet und stattdessen Kinderlineale bekommt. Vor sechs Jahren hatte Erntge nämlich mit arroganter Genugtuung vor derselben Bürodame gesessen und immer wieder Kopf schüttelnd bejaht, dass sie gaaanz gaaanz sicher (!) alle (!) offiziellen Zelte zur Stadt abbrechen wollte. Für immer. Pah!
Dass Erntge nun wieder hier wohnt, kommt ihr grad wie ein großes Glück vor. Es geht um Wiederentdecken und Neufinden und Zwischenerkunden. Auf den Listen, die Erntge schreibt, stehen komische Buchstaben und grad treibt sie sich mehr in Baumärkten als in Kneipen rum. Was sich bald ändern wird! Bis dahin knackt draußen die Kälte und drinnen klappern die Schmetterlinge.