Archive for the ‘zylinderella & binoche.’ Category

sick und doof.

Monday, December 4th, 2017


„Hey Binoche, schön dich zu sehen, ist es nicht geil?“ Zylinderella versprühte eine Leichtigkeit, deren Fröhlichkeit leider schmerzte. Ihre wuchtigen Augen funkelten so wild wie ein Weihnachtsmarkt kurz vor der LKW-Attacke. „Hä, was?“, verstört war Binoche und spürte die Unannehmlichkeit eines drohenden Gesprächs mit der Person, deren Körper ihr Sichtfeld in den letzen fünf Monaten enorm eingeschränkt hatte und weiter zu sprengen drohte. „Na alles, sieh dich um!“ tönte die Schöne und spielte dabei verträumt mit ihren blonden Locken. „Haha,“ Binoche winkte ab. Vom ewigen Kriechen und Suchen hatte sie sich die Brille versaut. Ein riesiger Riss splitterte sich über beide Gläser. „Ja, findest du?“ Binoche hätte gern das peinliche Gekrächz unterdrückt, doch war sie ewige Knechtung, Fessel und Zwang leid, eigentlich war ihr inzwischen scheißegal, was aus ihr rauskam. Alles, was noch kam, war willkommen. Ehrlich. Herzlich!

Binoche war am Arsch. Sie bekam sich nicht mehr recht zusammen und wusste nicht, wo ihre Einzelteile steckten. Noch funktionierte sie. Die Ausbrüche wurden aber häufiger und immer öfter fiel Binoche und manchmal half auch keine schäumende, ohrfeigende Ostsee aus der Bodenlosigkeit. Das Verhängnis hatte sieben Namen, war unergründlich und zutiefst phrasenhaft. Binoche wusste, dass ein einziger Mensch ihre Einzelteile im Weltall zusammensuchte, ein seidener Faden.

„Wie viel wir hier gestalten können! Es ist der Hammer. Ich bin so glücklich.“ Zylinderella hatte was von dieser Frau aus der Schaumawerbung. ‚Die sieht sich selbst beim Wachsen zu, bei mir ist immer nur Verschwinden und Abhandensein’, dachte Binoche noch und klappte den Rechner zu. Sie sagte: „Ich freu mich, dass es dir wieder so gut geht.“ Ein zauberhaftes Lächeln glitt dankend herüber und für einen Moment war Binoche wie gefesselt von der Tiefe des Glücks, was da zu ihr herübersegelte. Ganz ehrlich und unvermischt. Binoche wusste nicht recht: war sie gekränkt oder entzückt? Das Dumpfe sollte endlich aufhören, diese entsetzliche Abwesenheit von allem.

Binoche packte schließlich den Rechner ein, stand auf und beugte sich herüber. Gerade als Zylinderella sich selig über den Bauch strich und dabei verträumt summte, küsste sie Binoche auf den Mund. Einfach so. Das Summen verstummte abrupt. Von nun an, wusste Binoche, hatte sie nichts mehr zu befürchten. Die Schaumafrau würde andere Schaumafrauen treffen, damit hatte Binoche nichts mehr zu tun.

Sternschnupfen & Bewölkung.

Monday, August 15th, 2016

verwegen

Zylinderella und Binoche lagen im Zelt. Draußen prasselte es. Die Wände zuckten und zeigten immer wieder: Lichtschatten in Panik. „Achtung Achtung: Tropf über Kopf!“ robotterte Zylinderella und steckte sich eine Handvoll Chips in den Mund. Binoche seufzte. Im Schein der Stirnlampe sah sie die Krümel in Zeitlupe auf die Isomatte fallen. Den Gedanken an Fettflecken im geborgten Zelt verbot sie sich und sagte stattdessen: „Du, ich les diesen Moby Dick jetz nich mehr weiter. Das mir alles zu rassistisch.“ Zylinderella nickte ab. „Und ich hab mich letztens gefragt, was Cocktail eigentlich wörtlich übersetzt bedeutet.“ Binoche überlegte kurz, knipste dann die Lampe aus und kuschelte sich in den Schlafsack. Wie schwer abhängen ist, dachte sie noch und schlief ein.

Von Mänteln und keinen Spaten.

Sunday, October 19th, 2014

„Was ist das für ein dunkler Kasten im Flur?“ Zylinderella war in die Küche geweht und versprühte Bakterien. Ein feuchter Film lag ihr auf Nase und Augen. „Und hä? Trinkst du Schnaps?“ Binoche hob die Hand zum Gruß, Umarmungen wollte sie heute vermeiden. „Das ist meine Jacke, ich hab sie ausgezogen und erstmal in den Flur gestellt. Stört die dich da?“

Zylinderella schniefte und setzte sich. „Sieht aus wie n Panzer. Was hast du da alles drin!“ Binoche tippte auf die Flasche und sah die Mitbewohnerin fragend an. Zylinderella nickte und leierte sich ihren Schal vom Hals. Fast bedauerte Binoche, dass Zylinderella das herrliche Aroma des Williams Christ nicht mitbekam. Sie sagte: „Da ist alles drin zum alles richtig machen.“

„In den Außentaschen sind 29 kleine Steintafeln. Da sind die Regeln drauf eingemeißelt.“ – „Wie schwer?“ – „Keine Ahnung, eine so 600 Gramm, 700?“ „Kannst du die nicht auswendig?“ – „Doch, aber manchmal muss ich sie schmeißen.“ – „Schon mal eine kaputt gegangen?“ – „Andauernd. Nervt.“ – „Was noch!“ – „Na hier, Ersatzstimmbänder, Sanitasche und in der linken Innentasche ist die Knarre drin.“ Zylinderella hustete. „Du schießt?“ – „Im E-Fall. Wenn einer Rot sieht, dann schieß ich dem zwischen die Augen.“ Zylinderella goß sich stumm einen Zweiten ein.

„In der rechten Innentasche sind die ganzen Buchstaben. Ich verlier manchmal welche, vielleicht ist da n Loch drin.“ – „Du kannst doch improvisieren.“ – „Ja. Aber umso mehr Chaos, umso mehr Steintafeln krieg ich zugeschoben.“ – „Kack.“ – „Ja.“

Zylinderella hatte ihren Arm um Binoche gelegt und so saßen sie auf dem Küchensofa. Binoche tat diese Nähe gut. Der Obstler hatte sie entspannt und eine Wärme ins Innen gezaubert. „Ich kann mich in dem Teil nur total schwer bewegen, das ist blöd.“ Zylinderella sagte: „Is aber kugelsicher, oder?“ Binoche nickte: „Nu stehtse jedenfalls erstmal im Flur. Ich ziehse die nächsten Tage nich an.“ – „Tolli!“ – „Ja!“ Binoche lächelte in den Kerzenschein: „Die nächsten Tage mach ich alles falsch, kannste wissen.“

Suchen satt.

Friday, December 13th, 2013

suchen satt.

Am Küchentisch wuselte Binoche. Butterdose, Zeitungsfetzen, Kerzenstumpen, Vollkornkrumpen und Tabakbrösel rasselten übers matte Holz. Auf der Couch hob Zylinderella den Zeigefinger, öffnete kurz den Mund wie als wollte sie… – überlegte es sich und ließ Oberlippe und Index wieder sinken. Was sollte sie auch anzeigen, betiteln oder verzeichnen. Binoche heizte seit Wochen wie bescheuert durch ihr Leben, suchte und suchte und fand’s nicht.

“Man, nu setz dich doch ma hin.”, raunte Zylinderella.

Binoche blieb kurz vor dem Fenster stehen, atmete die feuchte Morgenluft und setzte sich endlich. Ihre Stirn war zerknittert und über ihren Augen klebte so transparentes Bonbonpapier. „Ich weiß echt nich wo’s is. Echt. Zum Kotzen!“, sagte sie. Zylinderella versuchte also ein Lächeln und wünschte, es möge wirken: mitfühlend, verständnisvoll oder ähnlich angebracht. Ihr fehlte die Erfahrung mit so was. Ihre Mitbewohnerin so zerstreut zu sehen, war Zylinderella unangenehm und setzte sie unter Druck. Binoche zwirbelte sich jetzt immer so in Rage!

„Zum Kotzen!“, polterte die. „Im Schlafsack isses nich. Aufm Laufband nich. Nich im Kreidekasten und nich im Handschuhfach. … Im Handschuh auch nich! Man, ey. In der Sauna isses nich und nich in den brasilianischen Instrumenten. Verkackter Scheiß. Echt. Wo soll’s sein? Wo wo wo!“ Binoche trommelte mit der Faust auf den Tisch und ein Teller klirrte.

„Ich hab kein Bock mehr, ey.“ Zornig blies sie sich eine Strähne aus der Knitterstirn. „Morgen kiek ich noch im Schlagzeug nach und denn…“ – „Ja, was denn?“, unterbrach Zylinderella sie fordernd. „Denn…“, Binoches Stirn entfaltete sich in Zeitlupe. Ihr Atem ging nun ruhiger und über den Tisch sah sie fest in Zylinderellas Augen. „Denn hab ich keine Wahl mehr. … Denn muss ich bei mir suchen.“ Binoche sortierte Krümel. „Und das wird echt hart.“ Oh man.

La vida es un perro.

Tuesday, October 26th, 2010

„Den kannste vergessen.” Zylinderella winkte ab und konzentrierte sich wieder auf die Nagelschere. Seit das Blut aus Albanos Arsch geströmt war, hatte sie sich schuldig gefühlt und sehnte sich nach einer Art Opfergabe. Es war so lächerlich. Binoche würgte. Weil Keratinplättchen bedingungslos – sozusagen natürlich – nachwachsen, war Zylinderellas Opfer an sich keins, wegen der unregelmäßig knackenden Töne war es jedoch akustisch wahrnehmbar (also wahr) und hinterließ Spuren, nämlich anthrazitfarbene Nagelklumpen auf dem Teppich. Ein Nagel schepperte direkt neben Binoches Teetasse. Ihr Mundwinkel zuckte kurz. Binoche verspürte in einem Anflug von Ekel eine Art inneren Imperativ hämmern, der ihr wie mechanisch einflüsterte: „Geh. Geh.“ Fröstelnd suchte Binoche Halt unter der Decke und starrte wieder nach draußen.

Vor dem Fenster dasselbe Trauerspiel. Herbst ist Tod. Die verwesenden Blätter kündigten ihn bereits seit Wochen an. Sie waren erstaunlich zahlreich geworden und hatten dem ganzen Viertel diesen modernden Geruch aufgedrückt, der Binoche jeden Morgen die Tränen in die Augen schoss. Auf dem Spielplatz zwischen den grauen Berliner Altbauten klapperte seit Stunden wieder der einsame Hund. Braun war er und mager. Sein Fell war stumpf, lädiert, zerbrochen. Der arme Kerl drehte sich im Kreis und biss sich dabei in den Schwanz. Immer wieder. Das ging seit Monaten so. Die Kinder aus der Nachbarschaft hatten ihm weitsichtig eine Wasserschüssel bereitgestellt, sogar Watte in den Herbstblätterhaufen, der seine Schlafstätte war, gelegt, auf dass er sich seine Wunden wenigstens hygienisch lecke. Es ist nicht klar, ob der arme Kerl sich dieser lieb gemeinten Leichtgläubigkeiten auch bediente. Die Laterne am Spielplatz war seit zwei Wochen durch einen Fußball außer Gefecht gesetzt worden und ab 18 Uhr sah niemand im Kiez mehr die eigene Hand vor Augen. Tagsüber versuchten alle, den Hund und sein makaberes Spiel zu ignorieren.

„Es ist aber auch ein Elend mit ihm“, seufzte Binoche. Ihr tat der Hund so schrecklich leid. Die Strapaze des ewigen Imkreisrennens war dem Hund anzusehen. Alle Minuten taumelte er und biss sich dann aus Wut über die eigene Hilflosigkeit in den Schwanz. Weil sich die Pfützen auf dem Spielplatz inzwischen blutrot gefärbt hatten, zogen die türkischen Muttis ihre Gören immer öfter fort von Wippen und Klettergerüsten. So hatte der Hund sein Areal gewonnen, ohne es verteidigen zu müssen. Verteidigen… als ob er dazu im Stande gewesen wäre, so beschränkt wie er immer nur sich selbst verletzte. Binoche hatte die Nachbarskinder beobachtet. Wie sie am Dienstag Nachmittag versucht hatten, den Hund zu retten, wie sie ihn liebhaben und von der Selbstzerstörung abhalten wollten. Sie hatten Tischtennisbälle, einen Hühnerknochen, sogar eine Babypuppe angeschleppt und in sicherem Abstand dem Hund angeboten. Der Hund hatte innegehalten, die Sachen beschnuppert, die Babypuppe kurz beleckt und sich dann auf die Hinterpfoten gesetzt. Als würde er sich Zeit nehmen, die Argumente der Kinder anzuhören. Die Kinder aber – was konnten sie ihm schon bieten: Wasser, Laub, Watte und jedes wollte ihn natürlich streicheln! Kein Wunder, dass der Hund bald bellte und sie verjagte.

Zylinderella, inzwischen zur Parfümwolke geworden, stand auf: „Puppi, nu mach Dir nicht son Kopp, is nur ne Töle.“ Binoche verließ bei solchen Worten immer kurz der Lebensmut. Warum nur war sie eigentlich mit dieser Person zusammengezogen? „Ich geh jetz zu Albano, kommst mit? Wir feiern da Jessicas Abschied, die geht doch jetzt nach Ecuador!“ Binoche schloss kurz die Augen. Sie hatte jetzt keine Kraft für Geschichten: „Nee, lass ma. Ich krieg noch n Anruf.“ Zylinderella zwitscherte aus dem Wohnzimmer und bald darauf klappte die Wohnungstür. Im Halbdunkeln zündete sich Binoche was an und sah in den düsteren Nachmittag. „Ecuador“, echote sie und lachte.