Es war einmal ein Trotzkist. Der trug immer rote T-Shirts und Ringelsocken, ging gern klettern und eines Tages lud er Erntge zu sich nach Paris ein. Das traf sich sehr gut, denn Erntge hatte dort eine kleine Arbeit gefunden, aber noch keinen Schlafplatz. Erntge klatschte also in die Hände und fuhr in die große Stadt.
Der Trotzkist hatte sehr lange Arme, die er weit öffnete: er gab Erntge einen Schlüssel, zeigte ihr ihren Schlafplatz und kochte fein. Er tippte stumm auf die eigens gekauften Blumen, als ihm Erntge vom grausamen Morgen erzählte, als sich jemand um 5 Uhr vor ihren Zug geschmissen hatte. Der Trotzkist war sehr lieb zu Erntge und beschwerte sich auch niemals über die von ihr kreplig gedrehten Zigaretten. Mit seiner schönen France-Inter-Stimme redete er viel und am liebsten über Kommunismus, die Revolution und la lutte ouvrière. Seine Kumpels hießen alle Genossen. Und Erntge hörte zu und fragte viel und merkte aber, wie sie immer mehr Fragen hatte, so länger sie sprachen.
Der Trotzkist war geduldig und wurde nicht müde, Erntge zu erklären, dass es keine Revolution von oben geben kann und er sie deshalb von unten vorbereiten würde. Und dass, wenn die Unzufriedenheit der Leute irgendwann groß genug sein würde, wenn sie endlich für den Umbruch bereit sein würden, dass er und seine Genossen genau dann zur Stelle wären. An diesem Tag. Und deshalb hätte er auch keine Zeit für Familie oder so, er müsse Politik machen! Erntge dachte viele Dinge, die sie aber nicht sagte und drehte dem Trotzkisten noch eine kreplige Kippe. Sie fand, dass der Trotzkist sehr müde aussah.
Dann holte sich Erntge in der Pariser-Stinkemetro Bakterien in den Fuß und ließ sich von der Apothekerin beschimpfen, sie müsse sofort zum Arzt. Der Arzt schimpfte weiter und schüttelte Erntge, sie hätte viel früher kommen müssen. Wie angeschwollen ihr Fuß schon sei! Erntge nickte schuldbewusst und sah ein, dass was passieren müsse, es tat ja auch sehr weh irgendwie.
Und abends dann, beim Essen mit Freunden, als die Herzdame so schön lächelte und der Trotzkist wieder von der Revolution erzählte und auch ein Cineast anwesend war und eine Mutti gähnte, als ihr Ältester einbeinig um den Tisch sprang und als der Intellektuelle seine Sammlung von Ausgaben des Kommunistischen Manifests präsentierte, darunter auch eine verstörende illustrierte Porno-Version, da wurde Erntge ganz kurz ganz klar, welche Parallele zwischen dem Trotzkisten und dem Antibiotikum bestand, das sich just in dem Moment den Weg durch ihr Blut bahnte und ihr Fieber senkte.
sounds familiar 😉