Wer mit dem Auto nach Karthali fährt, muss an einer bestimmten Stelle durch den Erdrutsch. Es dauert ziemlich lange, bis man ihn durchquert hat und im Jeep herrscht dann eine verstörende Stille. Zwei Dörfer liegen unter diesen Steinen. 600 Menschen wurden hier lebendig begraben. Wir wissen nicht, wie Karthali vor dem Erdbeben ausgesehen hat. Auf uns wirkt es nicht viel anders als die Dörfer, die wir bisher gesehen haben. Zwei Erlebnisse haben sich uns besonders eingeprägt: der Besuch beim Mädchen mit den Zwillingen und der große Regen.
Das Mädchen mit den Zwillingen.
Raju und Rojni laden uns ein: wir sollen die Frau mit den Zwillingen besuchen gehen. Gut. Weil in Karthali grad die Straße verbreitert wird, staubt es enorm, der Dreck ist überall, sogar zwischen den Zähnen. Das Haus, in das wir gehen, steht direkt neben den tobenden Baufahrzeugen. Es besteht aus Blech. Einszwei Hühner gackern uns an. Es ist sehr dreckig, wir würden am liebsten unsere Schuhe anbehalten. Drinnen verschluckt uns sofort die Dunkelheit. Unsere Augen gewöhnen sich nur langsam an den Vorraum, doch je mehr Zeit vergeht, je mehr Details erahnen wir und je flauer wird uns der Magen. Der meiste Dreck im Haus ist undefinierbar. Ist das Nahrung, Verdautes oder Nachgeburt? Unsere Freunde bitten uns, doch weiterzugehen. Widerwillig betreten wir das Schlafzimmer. Wir sehen unter einem Berg von Decken ein junges Mädchen liegen. In ihren Armen die Zwillinge, die erst 2 oder 3 Tage alt sind. Für einen Moment steht die Zeit still. Raju fragt, ob wir nicht ein Foto machen wollen. Wir wollen nicht. Wir können nicht. Wir können gar nix in diesem Moment. Das Mädchen ist 18 Jahre alt, der Vater dazu 17 und weg. Sie hat die Zwillinge nach der Arbeit auf der Straße geboren. Benommen verlassen wir schießlich das Zimmer. Die Sonne draußen piekt uns in beide Augen.
Der große Regen.
Eines Abends ist die Stimmung sehr besonders. Alle sind irgendwie aufgeregt. Raju erlaubt sogar, dass ich (!) den Reis koche. Und dann kommt’s. Dann geht’s auf einmal los. ES REGNET! Es sturzbacht und tost nur so los. Niemanden hält es drinnen: alle stehen draußen und jubeln, klopfen sich auf die Schultern, rauchen. Als es auch noch anfängt zu donnern und zu blitzen, fällt alle Anspannung und Sorge endgültig von den Schultern der Nepali. Auf diesen Regen haben alle sehnsüchtig gewartet, die Ernte scheint nach der langen Trockenheit gerettet. Und auch wir denken an die krepligen Kartoffelpflanzen in Photeng und freuen uns, sind erleichtert. Das Kochen entwickelt sich im Gewitter zur Party, welch kostbarer Moment!
Einen Film mit Stimmen aus dem Epizentrum des Erdbebens gibt es hier (produziert von Mother Earth Project).