Hochseiltanz.

Dass die Taube keine Granate auf dem Hochseil war, wusste wirklich jeder. Seit der Laster vorbeigeschrammt war,  tänzelte sie bedrohlich und machte echt keine gute Figur. Ungelenk tippelte sie wenige Zentimeter und starrte mit weit aufgerissenen Augen nach Laternenmasten oder Gesträuch zum Verschnaufen. Arme Taube!

Da kam die Elster vorbei. „Tach Taubi! Du tippelst ja lustig. Bei mir sieht’s ähnlich aus.” Die Elster schwang sich ganz dicht zur Taube aufs Seil und grätschte drauf los. Ihr elend langer Federschwanz wippte irrwitzig durch die Wolken. „Kssss….“, kicherte da die Taube und ihr Herz wurd ihr ganz leicht.

Da kam der Amselmann vorbei. „Mädels! Habt ihr Spaß?“, frug er und landete atemberaubend präzise bei Taubi und Elster. Tippeltaube war ganz beeindruckt von seinem sportiven Talent und beneidete den Amselmann heimlich um seine Furchtlosigkeit und seine jugendliche Leichtigkeit. Taubi schmiss sich fast weg bei seinen waghalsigen Kunststückchen. Von denen hatte er echt einige drauf.

Da kam der Milan vorbei. Was für ein schöner Vogel! Der Milan klatschte ab mit dem Amselmann und zwinkerte freundlich. „Was macht ihr?“, fragte er. „Wir hängen ab!“, lachte Taubi und freute sich, dass aus ihrem Tippeln schon ein Stapfen geworden war. Jawoll! Die Elster lachte mit.

Da kam der Paradiesvogel vorbei. „He ihr, kiekt, das sind meine Freunde: Drossel, Specht und Meise. Können wir euch unsre Choreo zeigen? Die is ganz frisch!“ Taubi schluckte, als sie die Vogelbande beim Formationsflug beobachtete. Es war atemberaubend. Der Elster flüsterte Taubi ins Ohr: „Krass, wie schön die sind!“ Die Elster sah Taubi lange an und nickte.

Einen ganzen Abend tanzten die Buntvögel zusammen auf dem Hochseil. Welches Glück, welche Wonne! Fast wurde Taubi übermütig und schlug ausgelassen mit ihren Flügeln. Sie fühlte sich schön.

Nachts dann, als Taubi überhaupt nicht mehr konnte und ihre Füße so zitterten und ihre Flügel schon ganz leer waren, rückte sie ganz dicht an den schönen Milan. Der flüsterte ihr Sachen ins Ohr, die Taubi nie wieder vergessen wollte.

Am nächsten Morgen ging alles schwer. Paradiesvogel, Drossel, Specht und Meise waren weg. Der Amselmann erwachte und nickte zum Abschied. Der Milan dann, der schöne, zwinkerte Taubi zu: „Mach’s gut, du verrückter Vogel, nur Mut!“ Die Taube schaute ihm noch lange nach.

Zurück auf dem Hochseil blieben Taube und Elster. „Wie nett das war!“, sagte die Elster und ordnete ihr Gefieder. Die Taube, die des nachts irgendeinen Kloß verschluckt haben musste, räusperte sich mehrmals und krächzte: „Schade, dass alle weg sind.“ Als die Elster meinte, sie müsse auch los, wurde der Taube  ganz bang. Wie ging das noch mit den Flügeln? Schreiten? Wie war das noch? Woran sie sich erinnerte war: ein leichtes Herz braucht, wer auf dem Hochseil tanzen will.

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