Huch, das ist definitiv neu! Erntge kann nicht mehr sprechen. Echt. Hat ihre Stimme verloren, irgendwo letztens zwischen Dampfer und Theater. „Bisschen heiser”, versucht sie erklärend in alle Richtungen, weil’s aber so extrem leise krächzt und nur kurz scheppert, starren die meisten Menschen irritiert und wissen auch nicht so recht.
Das verheerende Ausmaß wird Erntge richtig vorm Berliner Ensemble bewusst: da hat doch nach der Vorstellung irgendein Idiot Erntges Fahrrad so fies zugeparkt, dasses kein Entkommen mehr gibt. Diskussion mit solchem Unhold kann Erntge vergessen, ohne Stimme wird das lächerlich. Aber jetzt Stunden warten auf den Grobian? Nein nein, Erntge erhofft sich Unterstützung von zwei anderen fahrradfahrenden Theaterfreundinnen an der Ecke. Und will die um Hilfe bitten. „Fiep zischel, knarz?”, fragt’s und erhält keine Reaktion. „Hauch? Ha- auch!” – Gut, die Theaterfreundinnen haben Erntge endlich entdeckt und geben sich Mühe mit Verstehen. So gemein ist’s, Erntge weiß schließlich genau was tun! Die eine muss da heben und die andere da ziehen und genau in dem Moment kriegt Erntge da ihr Fahrrad rausgezwirbelt, sieht man doch! Dass die Damen verbal angeleitet werden wollen und Erntge mit großen Augen gleichzeitig mitleidig und irgendwie angewidert angucken, regt Erntge ein bisschen auf. Nerv! Frustration! Keinen polytechnischen Unterricht gehabt, oder was! Raun.
Am Frühstückstisch geht das Trauerspiel weiter. Erntge denkt tausend Dinge und kriegt keins davon kommuniziert. Die WG zeigt sich solidarisch und so wird morgens einfach ma geschwiegen. Auch praktisch: Leute ohne Stimme dürfen in unserer WG einen kostenlosen Übersetzerdienst in Anspruch nehmen. Erntges Hand- und Kopfzeichen werden interpretiert und in die Ohrmuschel weitergegeben. Sehr gut! Trotzdem freut sich Erntge darauf, dass hoffentlich bald alles wieder sei wie vorher. Bis dahin Kommunikation bitte schriftlich.