Anne Clark rettet einen verfirlefanzten Abend.

Wer greift schon gern ins Klo. Erntge wird jetzt ganz sicher keinen Haarspalter fragen und auch potentielle Zielgruppen mit Fetisch, Rausch oder geistiger Umnachtung schön außen vorlassen. Wobei… um Rausch sollte es ja irgendwie gehen, gestern in der Volksbühne.

Ach, Volksbühne. Von dir hat Erntge so viel erwartet, so einiges reinprojiziert in dich. Und nun: Enttäuschung, Frustration und der heiße Wunsch, Erwartungen für immer und ewig abzuschaffen. Denn wenn das da gestern auf der Bühne im großen Haus künstliche Paradiese sein sollten, dann möchte Erntge lieber in der Hölle sein, ob nun künstlich oder nich, ob analog oder digital, auf jeden Fall NIEMALS wieder festgetackert am Polstermöbel, wenn Tarwater auf der Bühne in Endlosschleife „The hours“ … na jedenfalls nicht singt. Und irgendwer sollte auch dringend Mariahilff helfen. Egal wer, bloß möglichst bald. Das hält einfach kein Mensch aus. Lars Rudolf, mach Film, mach Serie, spiel ruhig Trompete… aber bitte, bitte, bitte sing nicht mehr öffentlich.

Und was hatte das alles eigentlich mit Baudelaire zu tun? Da hat dieser Kai Grehn ein scheinbar sehr feines Hörspiel gemacht, ausgehend von Baudelaires Essay „Die künstlichen Paradiese“ (Les paradis artificiels, 1860). Baudelaire beschreibt darin den Zusammenhang zwischen Drogenkonsum und kreativem Schaffen (erster Teil Haschisch, zweiter Teil Opium). Ins Zentrum des Hörspiels packt nun Grehn Baudelaires Gedicht „Berauschet Euch!“ (Enivrez vous!) und bittet ausgesuchte internationale Künstler um eine musikalische Interpretation. Darunter auch Jeanne Moreau, Sandow, Nouvelle Vague und Anne Clark. Tolle Leute, tolles Thema, das funzt.

Aber nicht auf der Volksbühne. Da wirkt Alexander Fehling (nein, der sieht überhaupt nicht aus wie Baudelaire) grün und aufgeregt, da nervt Mariahilff und ist überhaupt nicht lustig, da schnarcht sich Tarwater in die Endlosschleife. Zwischendurch wird die Bühne umgebaut und es werden lieblos Bilder Baudelaires auf die Leinwand projiziert und Ausschnitte seines Essays abgespielt. Ohne Zusammenhang und sinnfrei. Natürlich lässt sich das kaum ein Zuschauer gefallen: es wird gezuckt, gerückt, gerüttelt, umhergestiegen – es ist nicht schön und allen klar: das hier ist der ultimative Griff ins Klo. Auch Erntge muss kurz auftauchen und vor der Tür durchatmen. Fühlt sich verraten und peinlich berührt.

Zwei Frauen retten Erntges Abend. Anne neben ihr und Anne auf der Bühne. Ein Hoch auf beide und noch ma eins auf Anne Clark. Ja, die gibs noch und sie sieht toll aus und haut einfach um mit großartig poetisch verdichteten Texten und ihrer unglaublichen Stimme mit krasseckigem Croydon-Akzent. Beides wird an diesem Abend von berauschenden Klaviertönen (Murat Parlak) begleitet. Ein Glück. Für einen erlesenen, edlen Moment lang kommt das Publikum zur Ruhe und himmelt höflich Anne Clark an, auch weil sie nach diesem verhunzten Abend authentisch ist: pur, ungeschminkt, originell und klar. Das entspricht Erntges Paradiesvorstellung: lehnt sich zurück und genießt, wie Sinne und Gedanken endlich tanzen. Das ganze Brimborium davor kommt ihr danach noch peinlicher vor.

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