62×2.

Das Erntge spurtet durch den Flur: balanciert Schlüssel, handouts, Wasserflasche, Handy. Und die Whiteboardmarker. Grün und blau ist dabei. Das schmückt zwar eigentlich… – das Erntge ist zu spät dran, als dass es sich darüber das Haupt zerschellen täte. Klickklackklickklack machts wie bei der Nähmaschine als es sich durch wartende Studenten schiebt. Das kommt von den Hakenschuhen, die sich das Erntge früh morgens wegen der privilegierten Kapitalismusstudenten anoperiert hatte. Klickklack. Aha, amphi 513, rein und los.

Rein und los?
Öhem.
Rein ja. Aber los?

Anfangs lacht das Erntge sogar noch, grinst richtig rein in sich selbst, wo viel Platz ist. Kann ja schließlich kaum ernst gemeint sein, diese 124 Augen, die da starren. Okay! Also gut: das Erntgetier balzt und drohgebärdet: wer ist falsch? Passiert Erstis ja öfter, haha. Das Erntge aber irritiert, dass es als einziges lacht. Und schon nicht mehr lacht, das steckt nämlich plötzlich fest im Hals, an dem sich immer offensichtlicher rote Fleckchen bilden.

Schließlich kommt auch beim Erntge an, was allen anderen Tierchen im Hörsaal längst klar ist: hier ist jetzt Vorlesung! Landeskunde! Und es braucht nur noch einen Affen. Einen, der vortanzt! Der vorne singt und springt und lacht und neue Kunststückchen zeigt. Einen mit Unterhaltungswert bitte. Einen milden, der gnädig ist, wenn sich eins der Schafe mal fressnarkotisiert hat und pennt. Ahja, und dieser Affe muss das Erntge sein: das hat schließlich die handouts und die Whiteboardmarker dabei. So muss das.

Das Erntge denkt plötzlich an Südsee. Und wie es schwitzt, so rudert es auch. (Sehr nämlich.) (Sehr dämlich.) Es ist ein Graus. Dem Erntge scheint der Schalk im Fell zu sitzen, dabei ist es pure Verzweiflung: das Erntge schawenzelt, taumelt, zaudert, schluckt. Versucht sich zu trösten mit dem Gedanken an Würste, die haben schließlich zwei Enden, dieser Albtraum dagegen nur eins. Hoffentlich. Irgendwann.

Sechzig Minuten mit zweiundsechzig Stundenten können sein wie sieben Tage Regenwetter. Mit obligatorischem Workshop zu Herzkasperletheater. Das Erntge schiebt sich schließlich vor allen Schafen aus dem Hörsaal, verkriecht sich in seiner Höhle und trinkt soviel Schnaps wie nie. Zusammen mit Frau Elster, die freundlich nickt.

2 Responses to “62×2.”

  1. Anonymous says:

    suse zitiert:

    Die Affen

    Der Bauer sprach zu seinem Jungen:
    Heut in der Stadt da wirst du gaffen.
    Wir fahren hin und seh'n die Affen.
    Es ist gelungen
    Und um sich schief zu lachen,
    Was die für Streiche machen
    Und für Gesichter
    Wie rechte Bösewichter.
    Sie krauen sich,
    Sie zausen sich,
    Sie hauen sich,
    Sie lausen sich,
    Beschnuppern dies, beknuppern das,
    Und keiner gönnt dem andern was,
    Und essen tun sie mit der Hand,
    Und alles tun sie mit Verstand,
    Und jeder stiehlt als wie ein Rabe.
    Pass auf, das siehst du heute.
    O Vater, rief der Knabe,
    Sind Affen denn auch Leute?
    Der Vater sprach: Nun ja,
    Nicht ganz, doch so beinah.

    [Wilhelm Busch (1832-1908)]

    Mach dir nichts draus Erntge. Das Wort Kapitalismus leitet sich schließlich nicht von Spaß ab. Und was können die armen Kleinen dafür, dass sie so privilegiert aufwachsen müssen. Immerhin: rein biologisch gesehen sind sie nicht besser als wir, nein, wir sind sogar sehr nah mit ihnen verwandt. Ob das nun gut oder schlecht ist, lass' ich an dieser Stelle mal unkommentiert…

  2. Erntge says:

    das problem ist die zeit, die nicht vergeht, wenn 62 leute erwartungen an dich haben. den musternden blick aus 124 augen zu ertragen und nicht weg zu können. das ist eine krasse sache.

    (das mit den kapitalisten hab ich ja schon eingesehen…)

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